Teuflische Schwester
einen
Moment, dann leuchtete sie in das trostlose Dunkel über
sich hinein.
Oben stand eine weißgekleidete Gestalt mit hinter dem
Rücken verschränkten Händen. Das Gesicht war hinter
einem Schleier verborgen. Ein Schrei stieg Melissa in die
Kehle, doch nur ein ersticktes Röcheln kam heraus, denn
der rechte Arm der Erscheinung hob sich langsam.
Aus dem Mund der Erscheinung brach plötzlich
Gelächter hervor, der Lachanfall einer Irrsinnigen. Mitten
drin flog ein Gegenstand auf Melissa zu und landete
unmittelbar zu ihren Füßen auf dem Treppenabsatz.
Sie starrte ihn entsetzt an. Ihre Augen waren weit
aufgerissen. Ihr Herz raste.
Es war eine Hand. Daran glänzte frisches Blut.
Melissa stöhnte auf. Der Magen drehte sich ihr um.
Übelkeit stieg in ihr hoch, drohte sie zu überwältigen.
Melissa drehte sich um und raste die Treppe zum Flur
hinunter, polterte zum Schlafzimmer ihrer Eltern und
stürzte hinein. Sie warf sich zu ihrem Vater aufs Bett. Ein
Weinkrampf schüttelte sie am ganzen Leib und schnitt ihr
die Atemluft ab.
Charles war sofort hellwach und schaltete das Licht an.
Das Gesicht seiner Tochter war aschfahl. »Missy! Was
hast du? Was ist los?«
Im Bett daneben regte sich Phyllis und setzte sich auf.
Als sie sah, daß Melissa sich an ihren Vater klammerte,
verdüsterte sich ihr Gesicht. »Also wirklich, Melissa!« Sie
setzte zu einer Gardinenpredigt an, doch ein Blick von
Charles ließ sie verstummen.
»Was hast du denn, mein Liebling«, fragte er noch
einmal.
»D-D-D’Arcy.« Melissas Stimme bebte. »Ich … Daddy,
ich habe sie gesehen! Sie hat ihre Hand auf mich
geschleudert!« Wieder schüttelte sie ein Weinkrampf.
Charles drückte sie fest an sich und wiegte sie sanft hin
und her.
»Nein, mein Liebes, es war nur ein Alptraum. Gleich ist
es vorbei.«
»Aber es war kein Traum!« beharrte Melissa. »Daddy,
ich hab’s genau gesehen.« Sogar in dieser Situation fiel ihr
auf, daß sie dasselbe schon einmal gesagt hatte, damals,
als sie Blackie tot auf dem Speicher gesehen hatte und es
ihrer Mutter begreiflich zu machen versucht hatte.
Unwillkürlich sah sie zu ihrer Mutter hinüber, und die
Angst schnürte ihr die Kehle zu.
Sie erblickte eine vor Wut verzerrte Fratze.
Aber dann hörte sie ihren Vater wieder begütigend auf
sie einreden. »Natürlich hast du das gesehen, mein Schatz.
Was man im Traum sieht, wirkt immer lebensecht. Aber
das heißt nicht, daß es wirklich existiert.«
Vom Nachttisch nahm er ein Taschentuch und wischte
ihr damit die Tränen aus den Augen. »So, jetzt wasch dir
mal das Gesicht, und dann kriegst du ein Glas kaltes
Wasser.« Unter den unverhohlen mißbilligenden Blicken
seiner Frau stand er auf und ging mit Melissa ins Bad.
Dort ließ er das Waschbecken mit kaltem Wasser
vollaufen, tränkte einen Waschlappen damit und wusch ihr
das Gesicht.
Als sie das kalte Wasser an ihrer Haut spürte, löste sich
das Entsetzen langsam. Die Anspannung ließ etwas nach.
Aber sogleich flackerte ihr Blick verstohlen zur Tür
hinüber. »Mama ist furchtbar böse«, flüsterte sie. »Sie …
sie meint, daß ich das alles erfunden habe.«
»Dann hätte sie aber unrecht«, versicherte Charles seiner
Tochter. »Ein Alptraum kann ganz abscheulich sein. Und
wenn du Angst hast, ist es vollkommen richtig, wenn du
zu uns kommst.« Er drückte ihr ein Glas Wasser in die
Hand. Als sie es ausgetrunken hatte, redete er weiter:
»Was meinst du? Sollen wir nach oben gehen und
nachschauen, ob dort etwas ist?«
Melissa nickte und folgte ihrem Vater aus dem Zimmer.
Gleich darauf standen sie auf dem Treppenabsatz vor der
Speichertür. Sämtliche Lichter brannten. Die
gespenstischen Schatten waren jetzt verschwunden.
Melissa starrte auf den Boden, auf dem vor wenigen
Minuten noch die blutige Hand gelegen hatte.
Jetzt war dort nichts mehr.
Sie sah bestürzt drein. War das denn möglich?
Hatte sie das Ganze wirklich erfunden?
Aber es war so echt gewesen – so grauenhaft echt!
Sie bückte sich, tastete über die in den Jahren
nachgedunkelten Holzdielen, nahm sie genau in
Augenschein. Vielleicht waren Blutflecken zu sehen.
Wieder fand sie nichts. Abgesehen vom Staub, blieben
ihre Finger sauber.
»Willst du weitergehen und den Rest auch absuchen?«
fragte Charles.
Melissa schüttelte den Kopf. »I-ich muß mich wohl
getäuscht haben«, hauchte sie. »Aber es sah so echt aus.
Ich war mir absolut sicher, daß ich nicht geträumt habe.«
Charles legte den Arm um ihre
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