Teuflische Schwester
alles gedämpft. Sie
bekam mit, daß ihr Vater Melissa tröstete. Ein- oder
zweimal glaubte sie, Melissa leise lachen zu hören. Als er
ihrer Halbschwester endlich eine gute Nacht wünschte,
huschte Teri schnell in ihr Zimmer zurück. Die Tür zum
Flur ließ sie halb offenstehen und legte sich ins Bett.
Gleich würde ihr Vater zu ihr hereinkommen und auch
ihr einen Gutenachtkuß geben.
Die Sekunden verstrichen. Dann hörte sie, wie die Tür
nebenan ins Schloß fiel und Schritte näherkamen.
Sie wartete darauf, daß ihre Tür weiter aufging und das
Gesicht ihres Vaters zum Vorschein kam.
Statt dessen lief ein Schatten an ihrem Zimmer vorüber.
Die Schritte ihres Vaters verhallten, und er verschwand in
dem Flügel, in dem das herrschaftliche Schlafzimmer lag.
Kein Laut war mehr zu hören. Teri lag still auf ihrem
Bett. Rasende Wut stieg in ihr hoch.
Sie war heute umwerfend gewesen. Alle hatten ihr
bestätigt, daß sie die Schönste des ganzen Balls war.
Sie hatte sogar den Stolz an den Augen ihres Vaters
abgelesen, als er ihr beim Walzer mit Brett Van Arsdale
zugeschaut hatte.
Aber dann hatte Melissa tränenüberströmt in der Tür
gestanden, und Teri war vergessen.
Von diesem Augenblick an war ihr Vater kaum noch von
Melissas Seite gewichen. Ständig war er um sie
herumscharwenzelt, hatte sie umarmt und abgeschmust.
Hatte ihr seine Liebe gezeigt.
Und hatte Teri links liegenlassen, als gäbe es sie gar
nicht.
Je länger Teri darüber nachdachte, desto rasender wurde
ihre Wut.
Melissa konnte nicht einschlafen. Zum wiederholten Mal
versuchte sie sich die Geschehnisse der Nacht zu erklären.
Sie überließ sich ganz ihrer Fantasie, und nach einer
Weile hatte sie eine plausible Lösung vor Augen.
Sie hatte heute nacht nichts anderes als D’Arcys Kleid
getragen. Bis jetzt war sie sich nicht sicher gewesen, aber
allmählich wuchs die Gewißheit.
Vielleicht hatte D’Arcy sogar dieses Kleid in jener
Nacht getragen, in der ihr Verlobter ihr den Laufpaß
gegeben hatte.
Aber nein, das konnte nicht stimmen. Dann hätte das
Kleid ja Blutflecken. Außerdem war D’Arcy nach dem
Ball spurlos verschwunden.
Und dann fiel es ihr ein.
Das Kleid war für die Hochzeit bestimmt gewesen.
Es war zwar verstaubt und mit den Jahren vergilbt, aber
beim Tragen hatte Melissa gespürt, daß es so gut wie nie
benutzt worden war.
Und deswegen war D’Arcy zu ihr gekommen, obwohl
sie hellwach gewesen war.
Sie hatte gewußt, wohin Melissa wollte. Dieses eine Mal
hatte sie das herrliche Kleid – ihr Hochzeitskleid – deshalb
selber tragen wollen.
Melissa hielt es im Bett nicht länger aus und stellte sich
ans Fenster. Es war eine milde, klare Halbmondnacht. Das
Meer plätscherte gegen den Strand, die Schaumkronen
flackerten in einem gespenstischen Leuchten.
Fast bildete sie sich ein, D’Arcys blasse, im
unheimlichen Zwielicht über den ruhelosen Wellen kaum
auszumachende Gestalt zu erkennen.
Was war damals geschehen?
Bis heute nacht hatte sie niemals wirklich an D’Arcys
Existenz geglaubt. Sie hatte sie einfach erfunden, damit sie
an ihrer Stelle der Welt standhielt, wenn die
Schwierigkeiten überhand nahmen und ihr nichts anderes
blieb als die Flucht.
Und bis heute nacht war D’Arcy nur gekommen, wenn
sie sie gerufen hatte.
Aber diesmal hatte sie gar nicht nach ihr gerufen. Beim
Anprobieren war D’Arcy einfach aus dem Nirgendwo
aufgetaucht.
Hatte sich eingeschlichen.
War in sie hineingefahren.
Sie fröstelte, obwohl die Nacht warm war. War das
möglich? Hatte D’Arcy ungerufen von ihr Besitz
ergriffen?
Und wenn das stimmte, was hatte es zu bedeuten?
Ein Geräusch störte sie in ihren Überlegungen.
Ein Geräusch über ihr.
Das Geräusch kam wieder. Jetzt war sie sicher, was es
bedeutete.
Es war ein Schluchzen. Es kam aus dem kleinen Zimmer
auf dem Speicher, direkt über dem ihren.
Ein kalter Schauder überfiel sie. Was sollte sie nur tun?
Aber während sie noch überlegte, stand die Antwort schon
fest. Sie wußte, daß sie keine andere Wahl hatte.
Sie mußte nachschauen.
Das Herz pochte ihr zum Zerspringen. Sie warf den
Morgenrock über, bewaffnete sich mit einer
Taschenlampe und schlich zur Tür. Dort lauschte sie ein
paar Augenblicke. Außer dem erstickten Schluchzen war
im Haus nichts zu hören.
Sie huschte über den Flur. Die Taschenlampe schaltete
sie erst ein, als sie im Treppenhaus stand.
Endlich hatte sie den Türgriff in der Hand. Die Tür
knarrte laut in den Angeln. Melissa erstarrte für
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