Teuflische Versprechen
unterdurchschnittliches Aggressionspotential bescheinigt, im Gegenteil, er wird sogar als gutmütig und hilfsbereit bezeichnet. Wenn aber einem eine geringe Gewaltbereitschaft attestiert wird, warum sollte er dann ein Kind umbringen, noch dazu ein Mädchen? Und wo hat er sie verschwinden lassen? Hier passt einfach nichts zusammen. Er war’s nicht, und dabei bleibe ich.«
»Aber Sie haben ihn damals doch auch mehrfach verhört und anfangs geglaubt, er könnte es gewesen sein.«
»Das stimmt nicht ganz, ich habe gesagt, ich würde es nicht ausschließen, aber so recht geglaubt habe ich eigentlich nie daran. Doch leider existiert das auf Band gesprochene erste Geständnis, und darauf beruft sich die Staatsanwaltschaft. Wir sind doch jetzt nur noch die Deppen.«
»Aber …«
Julia Durant winkte ab. »Ich weiß genau, was Sie jetzt sagen wollen. Aber ich mag nicht mit den Wölfen heulen und sagen, der Fall ist abgeschlossen. Für mich ganz persönlich ist ein Fall erst dann endgültig abgeschlossen, wenn wir eine lückenloseBeweiskette beziehungsweise ein klares und unwiderrufliches Geständnis vorliegen haben und wenn wir vor allem das Opfer oder zumindest Teile davon haben. Sie wissen so gut wie ich, dass viel zu oft bei den Ermittlungen geschlampt wird oder Beweise getürkt werden. Aber ich wollte mir die Arbeit nie leicht machen, und ich habe einen Eid abgelegt, dem Gesetz zu dienen.«
»Frau Durant, Ihr Engagement in allen Ehren, und ich weiß auch Ihre Verdienste zu schätzen, doch es gibt Kräfte, die stärker sind als Sie und ich …«
»Und? Ich lasse es gerne immer wieder auf Kraftproben ankommen. Sie kennen mich doch«, sagte sie schmunzelnd.
»Ja, ich kenne Sie, und deshalb mache ich mir auch Sorgen. Wie wollen Sie sich denn heute vor Gericht verhalten?«
»Ich werde die Fragen beantworten, sonst nichts. Das Urteil steht doch sowieso längst fest. Ich hab mir ein paar Mal gewünscht, wir hätten damals schon die Gebietsreform gehabt und unsere Kollegen aus Wiesbaden und Hofheim wären für den Fall zuständig gewesen. So aber haben wir den Schwarzen Peter oder besser gesagt die Arschkarte gezogen.«
»Hören Sie, das Urteil ist noch nicht gesprochen …«
Julia Durant lachte kehlig auf und meinte: »Das ist gesprochen, es ist nur noch nicht ausgesprochen. Wer sagt uns denn, dass Larissa nicht doch ins Ausland verschleppt wurde? Mädchenhandel ist ein blühendes Geschäft, und je jünger, desto besser. Bestes Beispiel dafür ist doch Tschechien. Dort werden sogar Babys für ein paar Euro angeboten und missbraucht. Die Pädophilen nehmen überproportional zu, die Nachfrage steigt, auf dem Schwarzmarkt werden Hunderte von Millionen Euro mit Kinderpornos verdient, und ich würde mich nicht wundern, wenn eines Tages Larissa in einem dieser Filme zu sehen wäre. Irgendwas sagt mir, dass sie noch am Leben ist, doch ichwüsste nicht, wo wir sie suchen könnten. Aber egal, der Fall ist sowieso abgeschlossen, und sobald das Urteil gefällt ist, wird kein Schwein mehr nach ihr suchen. Es sind so viele Fakten, die nicht berücksichtigt wurden, zum Beispiel, dass er eine halbe Stunde vor dem vermutlichen Verschwinden von Larissa noch zu Hause war und zu Mittag gegessen hat. Und um vierzehn Uhr war er auch schon wieder zu Hause, das bezeugen seine Eltern und sein Bruder. Er besitzt keinen Führerschein, also müsste die Leiche in einem relativ kleinen Radius zu finden sein. Doch auch das interessiert keinen. So, und jetzt geh ich rüber in mein Büro und lenke mich noch ein bisschen ab, indem ich ein paar Akten wälze, bevor ich zum Gericht fahre, und ob ich danach noch mal ins Büro komme«, sie zuckte mit den Schultern, »wer weiß.«
»Frau Durant«, sagte Berger, »ich bin auf Ihrer Seite, wenn Sie das beruhigt. Sehe ich Sie morgen?«
»Warum nicht?«, fragte sie zurück, obwohl sie genau wusste, was Berger mit seiner Frage meinte. Ihren großen Tag, an den sie lieber nicht denken wollte. Für die andern war es vielleicht ein großer Tag, aber nicht für sie, im Gegenteil. Vierzig Jahre, seit zehn Jahren geschieden und keine Aussicht, dass ihr eintöniges Leben allein sich ändern würde. Sie würde den morgigen Tag begehen wie jeden anderen auch, sie würde ins Büro kommen, die Glückwünsche der Kollegen über sich ergehen lassen und versuchen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, denn als solches empfand sie ihr Leben seit geraumer Zeit. Bisweilen erging sie sich in Selbstmitleid, vor allem wenn der
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