Teuflische Versprechen
schließlich nicht eines schweren Verbrechens schuldig gemacht, sondern lediglich ein nur allzu menschliches Verhalten gezeigt hatte? Schließlich gehen Tag für Tag etwa eine Million Männer in Deutschland zu Prostituierten, geben jährlich Milliarden Euro dafür aus, unzählige Männer und Frauen konsumieren regelmäßig Kokain oder andere Drogen, warum also sollte Leonhardt dieser Fehltritt nicht gestattet sein, zeigte doch gerade dies seine menschliche und damit fehlbare Seite. Und dass er zu seinem Fehler stand, bewies er mit seinem vorläufigen Rückzug aus dem öffentlichen Leben, und jeder rechnete damit, dass mindestens ein, wenn nicht gar zwei Jahre vergehen würden, bis er sich wieder der Öffentlichkeit präsentierte. Nur Julia Durant und ihre Kollegen und etliche andere Insider wussten, dass Leonhardts Reue eine kühl kalkulierte Strategie war, eine Taktik, mit der er all jene, die ihm nicht so wohlgesonnen waren oder an seiner Integrität zweifelten, in Sicherheit wog, um irgendwann wie Phönix aus der Asche wieder aufzutauchen. Leonhardt, darüber waren sich alle in Julia Durants Abteilung einig, würde sich nicht ändern, dazu steckte er zu tief im Sumpf des Verbrechens, denn dort lag sein Kapital. Die Frage war nicht, ob er wieder auftauchen würde, sondern wann. Durant schloss darüber mit Hellmer und Kullmer eine Wette ab. Hellmer sagte, in einem Jahr, Kullmer meinte, Leonhardt würde bestimmt anderthalb Jahre von der Bildfläche verschwunden sein, während Durant zwanzig Euro darauf setzte, dass er in spätestens einem halben Jahr wieder präsent sein würde. Wer wohl Recht hatte?
Donnerstag, 13. November 2003, 7.45 Uhr
Maria hatte sich am 13. November von Julia Durant und ihrem Vater verabschiedet. Es war ein tränenreicher Abschied, bevor sie in das Flugzeug stieg, das sie nach Bukarest bringen und von wo sie weiter mit dem Zug nach Kagul fahren würde. Sie hatte eine Menge Gepäck, Durants Vater war mit ihr am Mittwoch einkaufen gewesen, Kleidung und andere Dinge, die in Moldawien nicht oder nur schwer zu haben waren. Auf dem Flughafen wollte Durant ihr die Kette wiedergeben, den Glücksbringer, doch Maria wehrte ab: »Nein, ich möchte, dass du sie behältst. Vielleicht denkst du ja ab und zu mal an mich. Ich werde dir jedenfalls schreiben und würde mich freuen, auch von dir zu hören, und natürlich auch von dir. Es war schön, dass du bei mir warst und mir so viel von Gott erzählt hast«, sagte sie zu Durants Vater, der sichtlich gerührt war, als er Maria umarmte, als wäre sie seine Tochter. Er streichelte ihr übers Haar und sah sie lange an.
»Pass gut auf dich auf, und wenn irgendwas ist, ich werde immer für dich da sein.«
»Ich weiß. Und vielleicht haben meine Eltern ja inzwischen Telefon. Danke für alles, auch für die Sachen, meine Familie wird sich sehr darüber freuen. Und wenn ihr wollt, dann kommt mich besuchen, ihr seid jederzeit herzlich willkommen. Und bitte grüßt Frau Michel von mir, ohne sie wäre ich jetzt bestimmt tot oder wieder bei Marco.« Und nach einem Moment: »Ich würde so gerne ein paar Blumen auf das Grab von Frau Hendriks legen. Es tut mir so leid, dass sie wegen mir sterben musste.«
»Das wird alles erledigt. Und ich werde dich auf jedenFall besuchen«, erwiderte Durants Vater. »Und das sag ich nicht nur so. Spätestens im Frühjahr stehe ich bei dir vor der Tür.«
»Ich war auch noch nie in Moldawien. Und außerdem müssen wir uns ja vergewissern, dass es dir auch gut geht. Und jetzt hau endlich ab, sonst hör ich gar nicht mehr auf zu heulen. Und melde dich, sobald du angekommen bist, irgendwo wird’s ja ein Telefon geben. Und grüß deine Eltern und Geschwister unbekannterweise von uns«, sagte Durant.
Maria winkte, bis sie nicht mehr zu sehen war. Durant und ihr Vater begaben sich zum Auto und fuhren zurück in Susanne Tomlins Wohnung, wo Durants Vater aufräumen wollte, um später mit seiner Tochter in deren Wohnung zu fahren.
»Maria ist eine ganz besondere junge Frau«, sagte er mit belegter Stimme. »Sehr besonders.«
»Das finde ich auch«, bemerkte Durant. »Wir besuchen sie zu Ostern, ja?«
»Ganz bestimmt sogar.«
Maria rief am Freitagmorgen von ihrem Elternhaus aus an und berichtete, dass sie gut angekommen sei. Ihre Stimme war klar und gut zu verstehen, als sie von der Freude erzählte, wieder zu Hause zu sein. Ihre Eltern und Geschwister hatten die Hoffnung schon aufgegeben, sie jemals lebend wiederzusehen. Sie betonte noch
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