Teuflischer Pakt - Thriller
ganz klein war. Ich will keine Einzelheiten erzählen, aber am Ende beschloss ich, dass es das Beste war wegzulaufen.«
Sie sprach beiläufig, und er war überrascht, dass ihr jedes Selbstmitleid fehlte. Er fragte sich, was es sie gekostet hatte, so unbeteiligt zu sein. »Waren Sie im Heim?«
»So was in der Art.«
»Was soll ich dazu sagen?«
»Da gibt es nichts zu sagen. Ich war nur eine in der Statistik. Wenn Sie meinen Artikel gelesen haben, werden Sie wissen, dass die meisten vermissten Personen junge Mädchen sind. Wenn sie schon mehrmals weggelaufen sind, interessiert es niemanden. Sie werden einfach abgeschrieben.«
»Wie alt waren Sie?«
»Fünfzehn. Ich bin bis nach London getrampt, habe eine Zeit lang auf der Straße gelebt, und dann habe ich jemanden kennengelernt, der mir eine Chance gegeben hat. Dank seiner bin ich nicht unter den Pflastersteinen irgendeines Innenhofs oder in einem Müllsack am Straßenrand verrottet. Deswegen ist es mir so unter die Haut gegangen, als ich von all diesen Mädchen gelesen und mit ihren Eltern gesprochen habe. Mir ist klar, was für ein verdammtes Glück ich hatte. Vielleicht habe ich neun Leben, aber es hätte so leicht mich treffen können, wenn Brian mich nicht gerettet hätte.«
»Brian?«
»Er war im Musikgeschäft. Er war natürlich viel älter als ich, aber das war mir egal.«
»Himmel noch mal, Sie waren fünfzehn«, sagte er und war unfähig, seinen Abscheu zu verbergen.
»Mit High Heels und Make-up bin ich für älter durchgegangen. Egal, ich war fast sechzehn, und damit war es legal.«
»Ach kommen Sie, das ist nicht der Punkt. Es muss doch einen anderen Menschen gegeben haben, an den Sie sich hätten wenden können.«
Sie sah ihn an. »Nein. Es gab niemanden.«
Für ihn, mit seiner Familie und dem katholischen Hintergrund,
war es schwer, sich diese Leere vorzustellen, obgleich er wusste, dass es sie gab. Er war überhaupt nicht religiös, doch manchmal konnte der Glaube diese Leere füllen. Vielleicht brauchte er ihn nicht, weil er ihn immer gehabt hatte. Er schüttelte über seine mangelnde Sensibilität den Kopf. »Es tut mir leid.«
»Das muss es nicht. Es war einfach so, und ich wusste, was ich tat. Brian hat immer gesagt, ich sei fünfzehn und gleichzeitig fast dreißig, ich sei die Erwachsene, nicht er. Er hatte in vielerlei Hinsicht recht, er war wie ein großes, rührseliges Kind. Er hatte ein Riesenhaus draußen in Hampstead, voll mit echt coolen Sachen, und er hat auf mich aufgepasst. Es war das erste Mal, dass jemand so etwas für mich getan hat. Er war wie der Vater, den ich nie hatte.«
»Der Vater ?« Er starrte sie entsetzt an und fragte sich, wie schlimm ihre Kindheit tatsächlich gewesen war.
Sie nickte. »Sozusagen. Er ist mit mir einkaufen gegangen oder in Restaurants oder Klubs. Dann sollte ich ihn Dad oder Onkel Brian nennen. Wenn ich mich gelangweilt habe oder müde war, habe ich ihn manchmal Brian genannt, nur um ihn zu ärgern, damit er mich nach Hause bringt. Ich muss heute noch darüber lachen. Er wurde so sauer …«
»Erstaunlich, dass Sie darüber lachen können. Man hätte ihn einsperren müssen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wie sich das für Außenstehende anhört, aber andere verdienen das viel mehr als er. Wenn es ums Geschäft ging, konnte er ein richtiger Scheißkerl sein, aber zu mir war er immer nett und anständig und hatte ein weiches Herz. Und er hat auf mich aufgepasst. Er war derjenige, der mich ermutigt hat zu schreiben.«
»Wirklich?« Wie in einer glücklichen Familie, hätte er beinahe gesagt. Vielleicht gehörte es zu ihrer Überlebenstaktik, alles ins Positive zu drehen, doch sie schien ihm klarer und aufmerksamer
zu sein als die meisten anderen Menschen, nicht wie jemand, der sich etwas vormachte. Er fragte sich, ob sie tief in ihrem Innern Wut oder Bitterkeit über das empfand, was ihr widerfahren war.
»Sie können sich sicher vorstellen, dass ich keine großartige Erziehung genossen habe, aber schon als ich klein war, habe ich alles gelesen, was mir zwischen die Finger kam, egal ob es die Zeitung von gestern oder eine Müslipackung war. Dann fing ich an zu schreiben. Am Anfang war es nur ein Tagebuch mit meinen Gedanken und Eindrücken, dann wurde es mehr. In Brians Haus hingen ständig irgendwelche Leute herum, Popstars und so, es war eine große Party. Ich hab mit ihnen geschwatzt, sie ausgefragt und alles aufgeschrieben. Sie haben mich behandelt wie eine kleine Schwester
Weitere Kostenlose Bücher