Teuflischer Sog
das RHIB den kleinen Nebenarm und kehrte auf den Hauptfluss zurück. Die Luftzellen, die sie geleert hatten, hingen nun schlaff herab. Doch auf dem ruhigen Wasser und mit einer derart geringen Ladung würden sie die Manövrierfähigkeit des Bootes gewiss nicht einschränken.
Die vier Männer trugen jetzt argentinische Kampfuniformen mit den Insignien der Neunten Brigade und deren typischen kastanienbraunen Tellermützen. Die Neunte war eine bestens ausgebildete und ausgerüstete paramilitärische Einheit und unterstand General Corazón persönlich. Mit anderen Worten: eine Todesschwadron.
Cabrillo wusste, wenn er die Rolle eines Offiziers der Neunten Brigade spielte, würde er sie aus jeder noch so haarigen Situation heil herausholen.
Mit einer Pilotenbrille vor den Augen, wie sie von den Angehörigen der Neunten Brigade gerne getragen wurde, seine Mütze in einem verwegenen Winkel auf dem Kopf, stand er am Steuer des RHIB. Hinter ihm schleuderten die beiden Außenbordmotoren eine Wand aus weißer Gischt in die Luft, während der Bug wie eine Rakete über das ruhige Wasser schoss. Mike und Murph standen neben ihm, Heckler-&-Koch-Maschinenpistolen, ein Markenzeichen der Neunten, über den Rücken geschlungen. Jerry lag noch immer zusammengerollt wie ein Hund auf dem Glasfiberboden und schaffte es irgendwie, trotz des Motorenlärms zu schlafen.
Die Nadel des Geschwindigkeitsmessers zitterte dicht unter der Sechzig-Stundenkilometer-Marke.
Nach einer Fahrt von zwanzig Minuten flussabwärts kamen sie zum ersten Dorf. Es war unmöglich festzustellen, vor wie langer Zeit es zerstört worden sein mochte – die Menge an Vegetation, die sich der ausgebrannten Hüllen strohgedeckter Hütten bemächtigt hatte, ließ Juan eher auf Monate als auf Wochen tippen. Das Land hinter dem Dorf, das für eine landwirtschaftliche Nutzung gerodet worden war, musste sich dem wieder vorrückenden Dschungel ebenfalls geschlagen geben.
»Jetzt weiß ich, wie sich diese Typen gefühlt haben müssen, die in Apokalypse Now den Fluss raufgefahren sind«, sagte Mike.
Nirgendwo lagen Leichen herum – Tiere mochten kurz nach dem Überfall für ihr Verschwinden gesorgt haben. Aber die Spuren des grausamen Geschehens waren noch im Überfluss vorhanden. Der aus gemauerten Gebäuden bestehende Ortskern war durch Sprengstoff zerstört worden. Zementbrocken waren bis zum Flussufer geschleudert worden, und die wenigen noch halbwegs intakten Mauern waren von Maschinengewehrkugeln durchlöchert worden. Der Boden war von zahllosen Explosionstrichtern aufgewühlt, die von den Geschützgranaten stammten, mit deren Feuer man die verängstigten Menschen auf ihre Felder hinausgetrieben hatte, wo die Argentinier dann einen Pferch aus Soldaten aufgestellt hatten. Die Dorfbewohner waren mitten in ein Massaker hineingerannt.
»Gütiger Gott«, stöhnte Murph, während sie daran vorbeijagten. »Warum nur? Warum haben sie das getan?«
»Ethnische Säuberung«, erklärte Juan und presste die Lippen zu einer schmalen, grimmigen Linie zusammen. »So weit im Norden, da waren die Dorfbewohner wahrscheinlich Indios. In Geheimdienstberichten, die ich gelesen habe, ist davon die Rede, dass die Regierung in Buenos Aires die letzten wenigen Ansiedlungen von Eingeborenen im Land ausradieren will. Und um euch eine Vorstellung von den Typen zu geben, die wir verkörpern« – er deutete mit einem Kopfnicken in Richtung der kleinen Ortschaft –, »das ist höchstwahrscheinlich das Werk der Neunten Brigade.«
»Wie reizend«, stieß Mike voller Abscheu hervor. Er schob seine Mütze unter eine Epaulette auf seiner Schulter, so dass sein Haar frei im Fahrtwind flatterte.
»Das Gleiche geschieht gerade in den kleinen und größeren Städten. Überall, wo sie Eingeborene finden, treiben sie sie zusammen und schaffen sie entweder in Arbeitslager am Amazonas, oder sie lassen sie einfach verschwinden. Dieses Land ist mittlerweile eine Mischung aus Nazideutschland und dem Japan zur Kaiserzeit.«
»Wie viele Indios sind denn noch übrig?«
»Etwa sechshunderttausend gab es vor dem Putsch. Gott allein weiß, wie viele sie bereits getötet haben. Aber wenn dieses Regime noch für einige Jahre an der Macht bleibt, werden sie alle sterben.«
Sie passierten ein Fährschiff, das mühsam stromaufwärts stampfte. Es war groß genug für acht Automobile und vierzig Personen auf dem Oberdeck. Die Lastwagen trugen eine Tarnfarbenlackierung, und die Männer an der Reling waren Soldaten. Sie
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