Texas
sich zu anmutigen Hügeln, diese sich zu Bergen und schließlich zu Gebirgsketten von beachtlichen Ausmaßen empor. Der Camino Real wurde nun wahrhaft königlich; er bot herrliche Ausblicke. Endlich erreichten sie Saltillo. Trinidad war erstaunt von der Pracht der Stadt. Besonders die neue Kirche gefiel ihr, so groß und majestätisch, die mächtige Fassade reich mit Bildwerken und einer wunderschönen Muschel über dem Tor verziert. Zur Rechten erhob sich ein in strenger Linienführung errichteter Turm mit einem Glockenspiel, das noch lange nach dem letzten Schlag nachhallte. Erst am Abend des dritten Tages entdeckte Trinidad das für sie Schönste an Saltillo: Großvater und Mutter führten sie auf die Plaza vor der Kirche, wo sie zum erstenmal den formalen spanischen Paseo in einer größeren Stadt erlebte. Sie erreichten die Plaza, als der Paseo schon in vollem Gang war. Ein paar Minuten lang starrte Trinidad mit offenem Mund auf die jungen Männer und die hübschen Mädchen, die an ihr vorbeischlenderten, sich aber immer nur mit Angehörigen ihres eigenen Geschlechts unterhielten und gegenüber dem anderen Gleichgültigkeit heuchelten. Trinidad seufzte: »Das ist so schön, Mutter!«
Für Engracia gab es keinen Zweifel, daß ihre Tochter am nächsten Abend darum bitten würde, am Paseo teilnehmen zu dürfen. Das brachte ein Problem mit sich, das sie ihrem Schwiegervater vorlegte: »Ich bin zu alt, um Hand in Hand mit ihr im Kreis herumzulaufen. Und sie kennt kein Mädchen, mit dem sie gehen könnte.«
Don Ramón sah ein, daß er die Sache in die Hand nehmen mußte. Er ging zum Besitzer des Gasthofes, in dem sie abgestiegen waren, und sagte ohne Umschweife: »Don Ignacio, meine vierzehnjährige Enkelin möchte gern am Paseo teilnehmen. Kennt Ihr ein Mädchen aus tadelloser Familie, mit dem sie gehen könnte?«
»Ich habe eine Enkelin. Sie kommt aus bester Familie; ihre Mutter ist in Spanien geboren.«
»Don Ignacio, es wäre mir eine Ehre.«
So kam man also überein, daß Trinidad zusammen mit der fünfzehnjährigen Dorotea Galindez am Paseo teilnehmen solle.
Da sie jedes Aufsehen vermeiden wollten, warteten die Damen Saldana und Galindez noch eine Stunde, bevor sie ihre Töchter auf die Plaza führten. Doch die Mädchen hatten kaum den Rundgang begonnen, als die jungen Männer schon auf sie aufmerksam wurden. Zum erstenmal in ihrem Leben wurde sich Trinidad der Tatsache bewußt, daß sie keine durchschnittliche Erscheinung war. Ihr warmes Lächeln und ihr offenherziges Wesen gefielen den ihr entgegenkommenden jungen Männern.
Die um ein Jahr ältere Dorotea wies Trinidad darauf hin, daß die Mädchen den Jungen nie ins Gesicht sehen dürften; sie müßten den Anschein erwecken, ganz von ihrer Begleiterin in Anspruch genommen zu sein. Dorotea beherrschte dieses Spiel perfekt. Aber Trinidad hatte dafür nicht viel übrig: Zum erstenmal in ihrem Leben nahm sie von gutaussehenden männlichen Wesen Notiz. Als die Mädchen bei der Kirchentreppe wieder einmal um die Ecke kamen, machte Dorotea plötzlich »Oh!« Trinidad blickte auf und hielt den Atem an.
Lässig und unbekümmert schloß sich der bestaussehende Junge, den die beiden Mädchen je gesehen hatten, dem Kreis der Männer an. Er hätte auch Aufsehen erregt, wenn sein Gesicht nicht so hübsch gewesen wäre, denn er war der einzige Blondkopf unter all den Dunkelhaarigen hier in Saltillo. Er war einer jener Glücklichen, die, so alt sie auch sind, immer jugendlich aussehen. Als Trinidad dem etwa neunzehnjährigen Mann begegnete, vergaß sie ihre guten Vorsätze und lächelte ihn offen an. Aber zu ihrem Kummer mußte sie feststellen, daß er Dorotea anlächelte, und sie ihn.
Señorita Dorotea Galindez war eine äußerst brave junge Dame gewesen, solange keiner der jungen Männer auf dem Paseo sie besonders interessiert hatte; jetzt aber, da ein so vielversprechender Neuankömmling auf der Bildfläche erschienen war, verwandelte sie sich in eine geschickte Verführerin. Sie verlor jetzt jedes Interesse an Trinidad, und da sie bei jedem Rundgang zweimal auf den Fremden treffen würde, begann sie gleich nach jeder Begegnung sich auf das nächste Wiedersehen vorzubereiten. Er würde viele Mädchen in Augenschein nehmen auf seiner Runde, aber keine, die so offensichtlich von ihm beeindruckt und begierig war, ihn kennenzulernen, wie Dorotea. Dafür wollte sie schon sorgen.
So nahm der Abend seinen Fortgang. Trinidad wünschte sich sehnlichst, der junge Mann
Weitere Kostenlose Bücher