Texas
Großvater?«
»Natürlich«, murmelte er sanft, erhob sich und ließ sie allein im Zimmer zurück.
Nach einer langen Weile ging sie zu ihrem Großvater und gab ihm den Brief zurück. »Ihr und ich, wir haben eine gute zweite Familie verloren. Ich werde in Eurem Kontor schreiben.«
»Was willst du denn schreiben?«
»Ich möchte sie herzlich grüßen und ihnen sagen, was für gute Menschen Ihr seid, Ihr und meine Mutter. Sicher werden sie von mir hören wollen.«
Als sie später zu Amalia hinüberlief, die ein Jahr älter war, kam es ihr vor, als wäre sie die reifere von ihnen beiden, und sie sprach zu ihr wie ein Erwachsener zu einem Kind: »Ich bin so froh, daß du mir von dem Brief erzählt hast. Ich glaube nämlich, mein Großvater wollte ihn vor mir verstecken, aus Angst, er könnte mich aufregen.«
»Kannst du ihn denn noch sehen? Ich meine, in deiner Vorstellung.«
»Er steht an jeder Ecke.«
»Aber du wirst doch heiraten, nicht wahr?« »Großvater sagt, das werde ich müssen. Wenn er stirbt, werde ich das Haus und den Rancho erben. Aber ich spiele mit dem Gedanken, Nonne zu werden.«
»Aus dir würde eine wunderbare Nonne werden und eines Tags, bei deiner Intelligenz, Oberin Trinidad.«
Trinidad sprach oft mit Amalia über die Möglichkeit, ins Kloster zu gehen. »Aber als ich heute nacht ernsthaft darüber nachdachte, fiel mir ein, daß ich, um Nonne zu werden, die Billigung von Vater Ybarra oder einem anderen Geistlichen bräuchte...«
»Vater Ybarra verleidet einem direkt die Religion!«
Sie grübelten über die Frage nach, was die Kirche bloß veranlaßt haben mochte, einen so eingebildeten und egozentrischen Mann in eine Position zu erheben, die ihn mit solcher Machtbefugnis ausstattete. Trinidad meinte: »Wahrscheinlich bekommen alle Städte früher oder später einen Mann wie Vater Ybarra. Das einzig Gute ist, daß er seinen Bericht über die Missionen fast fertig hat und die Stadt bald verlassen wird.«
Nun schnitt Amalia ein interessantes Thema an. »Ich war zu Hause, als er ankam.«
»Vater Ybarra?«
»Nein. Der Americano.«
»Wie sieht er denn aus?«
»Er ist sehr groß. Ein Weißer. Ganz bestimmt kein Mestize. Verfilztes Haar und graue Augen hat er. Vorn fehlte ihm ein Zahn. Eine tiefe Stimme. Um die Wahrheit zu sagen, Trinidad, er hat mir Angst gemacht.«
»Wie hast du denn mit ihm gesprochen? Ich meine, kann er Spanisch?«
»Ja. Aber er spricht zögernd und langsam, wie ein kleiner Junge, wenn er komplizierte Wörter lernt.«
»Wo ist er jetzt?«
»Du kennst doch die Insulaner hinter der Plaza, diese netten Leute mit dem großen Haus? Großvater hat ihn rübergeschickt, und ich glaube, sie haben ihn aufgenommen.«
Aber schon zwei Tage später stellten Trinidad und Don Ramón überrascht fest, daß Mr. Marr mittlerweile in den Besitz eines kleinen Hauses auf der anderen Seite der Plaza gekommen war. Es war ein Speicher, in dem er seine Waren lagern wollte, bis sie nach Saltillo oder Chihuahua weiterversandt werden konnten. Die Bürger von Béjar erfuhren schnell von der ausgezeichneten Qualität der gelagerten Güter und begannen dem Americano zuzusetzen, er möge ihnen doch auch die Möglichkeit geben, etwas davon zu kaufen, und langsam, fast verstohlen, verkaufte er mal einen Kupferkessel, mal einen Ballen Tuch, bis er eine Art inoffiziellen Laden betrieb.
Ob er wohl eine Genehmigung hat? fragte sich Don Ramón, der das Kommen und Gehen auf der gegenüberliegenden Seite der Plaza beobachtete. Offenbar hatten sich auch andere diese Frage gestellt, denn schon vier Tage nach der »Eröffnung« erschienen der Hauptmann aus dem Presidio und der Richter der Stadt in dem Speicher und verlangten Mr. Marrs Papiere zu sehen.
Ohne zu zögern, legte Marr die Papiere vor: Die Dokumente waren in Mexico-Stadt und Nueva Orleans gestempelt und gaben Mordecai Marr das Recht, in den Provinzen Tejas und Coahuila Handel zu treiben. »Wir nehmen sie mit und werden sie uns genauer ansehen«, sagte der Richter, aber Mr. Marr nahm sie ihm mit festem Griff wieder aus der Hand und erklärte: »Diese Papiere bleiben in meinem Besitz!« Dann nahm er sofort eine fast unterwürfige Haltung ein und fragte den »guten« Hauptmann und den »verehrten« Richter: »Was meint Ihr, wo könnte ich in Eurer Stadt wohl ein Haus finden, das zum Verkauf steht? Es gefällt mir hier so gut, daß ich gar nicht weiterziehen möchte.«
Die Herren erwähnten, es könnte da auf der anderen Seite der Plaza eines
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