Texas
kann.
Trinidad, ohne zu merken, welche Neidgefühle sie erweckte, hing weiter ihren schmerzlichen Erinnerungen nach. Amalia, die vermutete, daß ihre Freundin in den Genuß von Erfahrungen gekommen war, die ihr selbst bisher versagt geblieben waren, wäre gern tiefer in die Materie eingedrungen, unterließ es aber. So begierig die jungen Frauen einerseits waren, aus sich herauszugehen, so sehr scheuten sie andererseits vor ehrlichen Fragen und Antworten zurück. »Wenn man einen Mann liebt«, setzte Amalia an, »also, ist da. ich meine, dann macht man.«
Das hätte Trinidad ermutigen sollen, frei zu sprechen. Statt dessen überlegte sie, lächelte und sagte: »Es ist schön.«
»Dieser neue Priester, Vater Ybarra, er verurteilt es. Er scheint Angst vor der Liebe zu haben.«
»Vater Ybarra ist ein Dummkopf.« Es war unüberlegt von Trinidad, das zu sagen, denn der Priester erfuhr davon. Nun stand sein Entschluß fest: Er würde mit den Saldañas abrechnen, so angesehen sie auch sein mochten.
Das war der Stand der Dinge, als ein einsamer Fremder den Camino Real aus dem Norden herunterkam. Kein Soldat eskortierte ihn, kein indianischer Späher beschützte ihn. Er war ein großgewachsener, schlanker Mann Ende zwanzig, dem ein Schneidezahn fehlte. Er stellte sich als Mordecai Marr vor, Kaufmann aus Mobile mit guten Verbindungen in Nueva Orleans. Er führte ein Pferd am Zügel, das seit drei Tagen lahmte, und drei Maultiere, die mit Waren von beachtlichem Wert beladen waren, die er in Béjar zu verkaufen gedachte.
Noch bevor er in einem Gasthof abstieg, fragte er nach dem Haus von Don Ramón de Saldaña. Er begab sich geradewegs dorthin, band sein Pferd an einen Baum und ließ die Maultiere einfach stehen. Auf ganz unspanische Art klopfte er an die Tür und forderte von Natán, dem Schwarzen, der ihm öffnete: »Yo deseo ver Don Ramón de Saldaña. Yo tengo una letra para el.« Er sprach korrektes Spanisch, aber mit fürchterlichem Akzent und gebrauchte das Wort letra statt carta, wie es richtig hätte heißen müssen.
Als Don Ramón erschien, gab der Fremde zu verstehen, daß er erwartete, ins Haus gebeten zu werden. »Ich habe einen
Brief von der Familie d’Ambreuze in Nueva Orleans für Euch. Sie erfuhren, daß ich hierherkommen würde.«
Don Ramón war nicht der Mann, der sich zwingen ließ, eine Einladung auszusprechen, und schon gar nicht an einen Menschen wie diesen unverschämten Americano. Er trat einen Schritt vor bis er den ganzen Türrahmen ausfüllte, und sagte freundlich: »Es freut mich, eine Mitteilung von der
ehrenwerten Familie zu erhalten, von der ich erhoffte, sie mit der meinen zu verbinden.« Er nahm den Brief und wollte schon die Tür schließen, als Marr ihn am Ärmel packte.
»Ist es wahr, was man sich erzählt? Daß die Apachen den Franzosen getötet haben?«
»ja.«
»Mich haben sie auch verfolgt, vor zwei Tagen. Ich habe mich auf die Lauer gelegt und zwei von ihnen erschossen.«
Er machte einen neuerlichen Versuch, das Haus zu betreten, aber Ramón drückte die Tür zu und ließ ihn auf der Straße stehen.
Don Ramón beschloß, seiner Enkelin den Brief nicht zu zeigen; er fürchtete, er könnte ihren schon abklingenden Schmerz von neuem entfachen. Doch als er das Schreiben ein zweites Mal durchlas und die große Wärme spürte, die sich darin offenbarte, Aufrichtigkeit einer Familie, die sich die Mühe gemacht hatte, den Brief von einem Beamten in Nueva Orleans in korrektes Spanisch übersetzen zu lassen, änderte er seinen Entschluß.
Trinidad kam nach Hause gestürmt wie ein Kind. »Großvater! Amalia hat mir erzählt, daß ein Brief von René-Claude gekommen ist! Der Mann war zuerst bei ihnen; er hat sich nach einem Zimmer erkundigt und erwähnt, daß er einen Brief von René-Claude hat.«
»Von seiner Familie.« »Das ist doch ganz gleich«, rief sie, hüpfte auf und nieder und streckte die Hand nach dem Brief aus.
»Hör auf damit! Du bist jetzt eine junge Frau, kein Kind mehr!«
Trinidad wandte sich von Don Ramón ab und begann zu weinen. »O Großvater, ich habe ihn so sehr geliebt! Das Leben erscheint mir jetzt so leer, wenn ich daran denke, was hätte sein können!«
Der alte Mann setzte sich neben sie und legte seinen Arm um ihre Schultern. »Ich habe sieben Söhne und eine geliebte Frau verloren. Ich weiß, wie entsetzlich dieser Schmerz sein kann.« So saßen sie eine Weile. Dann straffte sie die Schultern und fragte: »Darf ich den Brief haben,
Weitere Kostenlose Bücher