Tharsya. Die Rückkehr der roten Drachen
und Ihr lautloses Dahingleiten bewundert. Und überhaupt hatte Freundlichkeit noch keinem geschadet. Deshalb grüßte Lumiggl freundlich, als er den Felsen erreicht hatte: „Guten Tag, schöne Schlange.“
„Guten Tag“, antwortete die Natter mit heiserer Stimme höflich, aber, wie es Lumiggl schien, ein wenig misstrauisch. Vielleicht lag es daran, dass es sich womöglich um ein Männchen handelte und es die Bezeichnung 'schöne Schlange' als zu weibisch empfand. Es war aber auch schwer, das Geschlecht einer Schlange zu bestimmen. Mit Sicherheit konnte man es eigentlich erst sagen, wenn sie den Mund aufmachten. Vielleicht war diesem Exemplar aber auch erst vor kurzem jemand auf den Schwanz getreten. Jedenfalls richtete sich die Schlange auf und musterte den Wombling.
„Wer bissst du?“, wollte sie schließlich wissen. „Ssso einen wie dich habe ich hier noch nie gesssehen.“
„Ich komme von weither. Ich will zum großen Zauberer Yorick“,
„Dasss sssagssst du – aber vielleicht lügssst du! Vielleicht willssst du meine Krone ...“
Erst jetzt sah Lumiggl, dass die Schlange ihren Leib um ein zierliches Goldkrönchen gewunden hatte. Entrüstet protestierte er: „Na hör mal, ich muss das Land retten! Was soll ich da mit einer Krone?“
Die Schlange schien von dieser Versicherung nicht im Geringsten beeindruckt. Da hatte Lumiggl eine Idee. Er zog den blauen Stein unter seinem Hemd hervor und hielt ihn der Natter vor die Schnauze: „Schau, ich trage das Amulett der Feen!“
Das hatte die gewünschte Wirkung.
„Verzzeih! Dasss konnte ich nicht wissssen“, entschuldigte sich die Schlange, wenn auch nicht so ehrfürchtig, wie Lumiggl gehofft hatte. „Du musssst wissssen, meine Krone und mein Thron sssind sssehr begehrt.“
Es musste sich hier also um den Schlangenkönig handeln. Kein Wunder, dass ihm das Amulett nicht allzu sehr imponierte. Aber wenigstens hatte es ihn freundlich gestimmt, das war ja auch schon etwas. Lumiggl hatte schon die eine oder andere Erzählung vom Schlangenkönig und seinem Volk gehört. Demnach musste es da einen gewaltigen Hofstaat geben und selbst die kleinste Natter hörte auf den Ruf, den der König aussenden konnte – was auch immer das bedeuten mochte. Und diese Krone, sie war so von Sagen und Legenden umrankt, dass eine Unterscheidung von Wahrheit und Dichtung kaum noch möglich war. Angeblich verbrannte sie jeden, der sie unrechtmäßig aufsetzte, zu Asche. Und wenn man sie in den Mund nahm, konnte man die Zukunft sehen. Auch sollte sie in der Lage sein, Feinde in Stein zu verwandeln. Besonders letzteres fand Lumiggl doch sehr zweifelhaft. Wie sollte ein lebloses Ding wie eine Krone denn wissen, wer ein Freund und wer ein Feind war?
Die Schlange schlüpfte derweil geschickt mit dem Kopf unter das Kleinod. Es saß wie angegossen und blinkte im Sonnenlicht.
„Lasss mich dich ein Sstück desss Wegsss begleiten“, bot sie, jetzt sehr freundlich, an. „Vielleicht kann ich dir sssogar ein bisssschen helfen ...“
„Das wäre nett“, versicherte Lumiggl ehrlich. "Ich kann alle Hilfe brauchen.“
So kroch die Schlange neben Lumiggl her, wobei sie den Körper so aufgerichtet hielt, dass sich ihr Kopf auf gleicher Höhe mit Lumiggls befand, was die Unterhaltung vereinfachte. Lumiggl hatte einen Moment lang befürchtet, wegen der Schlange langsamer gehen zu müssen, aber es zeigte sich, dass sie sich seinem Tempo mühelos anpasste. Der König erzählte dem Wombling von seinem Reich und Lumiggl umgekehrt von seinen bisherigen Erlebnissen, wobei er höflich darauf bedacht war, die Schlange stets mit 'Majestät' anzureden. Sie zeigte sich davon auch angenehm berührt, erklärte jedoch bald, dass solche Formalitäten nicht notwendig seien, schon gar nicht im Angesicht solch gemeinsamer Gefahr, wie sie die roten Drachen darstellten.
„Ich bin Kesss“, stellte sie sich vor. „Es genügt, wenn du mich beim Vornamen nennsst.“
Lumiggl geriet in Verlegenheit, denn er fragte sich, ob er diesen Namen nun 'Kes', ,Keß', 'Kess' oder tatsächlich 'Kesss' aussprechen sollte. Er versuchte es schließlich mit 'Keß' und der König schien es zufrieden zu sein.
„Wir Sschlangen werden ja von vielen Menschen verachtet“, erzählte Keß, während sie so dahin gingen. „Viele von unsss wechssseln dessshalb schon gar nicht mehr in die Mensschenwelt, sssondern bleiben aussschliesssslich hier in Tharsya. Früher war dasss andersss. Da teilten wir unssser Wissssen über
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