Tharsya. Die Rückkehr der roten Drachen
weiten Ebene, auf der nicht ein Grashalm wuchs, prallten die Sandkörner des Wegs plötzlich zurück. Auch die Schlangen blieben stehen.
„Dasss issst er, der unsssichtbare Berg“, verkündete Keß.
„Wo?“ Lumiggl strengte die Augen an.
„Du schtehsst direkt davor. Geh einen Sschritt vorwärtsss und schtrecke die Arme ausss.“
Der Wombling tat, wie ihm geheißen und stieß fast sofort gegen ein Hindernis. Aber sehen konnte er immer noch nichts.
„Wie soll ich denn da rauf kommen, wenn ich nichts sehe!“
„Ihr Zzweibeiner verlasssst euch zzu sssehr auf eure Augen“, Keß schüttelte so heftig den Kopf, dass seine Krone Funken zu sprühen schien. „Benutzze deinen Tassstsssinn! Der Berg issst rund herum glatt wie Glasss, aber an diessser Stelle kannssst du Halt finden. Sssuch mit den Fingern Halt und mit den Zzehen, immer einen Sschritt nach dem anderen.“
Lumiggl sah ihn zweifelnd an.
„Ssso sschwer issst esss nicht, wenn du erssst mal angefangen hassst. Wir zzeigen dir, wo der Aufschtieg beginnt.“
Keß warf einen Blick auf seine Eskorte, die sofort los kroch, an Lumiggl vorbei und dann scheinbar direkt die Luft hinauf. Dort blieben sie liegen. Die ersten beiden Nattern berührten mit dem Schwanz noch den Boden, die nächsten beiden schienen mit ihren Schwänzen auf den Schnauzen ihrer Vorgänger in der Luft zu balancieren.
„Dort issst esss“, versicherte Keß. „Viel Erfolg, Lumiggl, mein Freund.“
„Vielen Dank für alles.“ Der Wombling war ganz gerührt. „Ohne euch hätte ich den Einstieg nie gefunden.“
Dann bückte er sich und klopfte Weg auf den Sand.
„Danke auch dir“, sagte er einfach.
Was soll man einem Weg auch schon sagen? Der Sand des Weges zitterte wie bei einem kleinen Erdbeben. Lumiggl steckte ein Kloß im Hals. Doch dann straffte er die Schultern und machte seinen ersten Schritt auf den unsichtbaren Berg zu. Einige Zentimeter über dem Boden fand sein Fuß Halt, der zweite Schritt ließ ihn noch ein bisschen höher steigen. Und der dritte. Und der vierte, aber da musste er sich schon mit den Händen abstützen.
Noch einmal sah er sich nach seinen Begleitern um. Keß nickte ihm aufmunternd zu, Weg bebte. Die Eskorte formierte sich wieder um ihren König. Lumiggl sah zurück auf seinen Weg und sah rein gar nichts. Er schien in der Luft zu stehen. Zwischen seinen Füßen hindurch konnte er den unter ihm liegenden Boden sehen, kein schönes Gefühl. Wie musste das erst werden, wenn er höher stieg? Er kniff die Augen fest zusammen und tastete um sich. Was er berührte, fühlte sich wie echter Fels an. Als er die Augen aber wieder öffnete, schien da absolut nichts zu sein. Kurz entschlossen zog er sein Taschentuch aus der Hosentasche und verband sich die Augen. Dann begann er, mit den Händen den Pfad nach oben zu suchen.
***
„Oh ja, du fliegst raus und erwürgst den einen Drachen und ich erschlage den anderen“, meinte Wigguld. Doch dann wurde er wieder ernst: „Befreien! Du weißt nicht, was du sagst, Floritzl! Hast du die beiden Riesenbiester nicht gesehen?“
„Eben“, hakte Floritzl nach. „Sie sind riesig! Wir müssen für sie doch klein wie Ameisen und alle gleich aussehen.“
„Na ja, Ameisen sind doch ein bisschen sehr klein. Ich denke wir dürften für sie eher die Größe von, sagen wir, Eichhörnchen haben oder ...“
„Dann eben Eichhörnchen. Der Punkt ist, dass die alle gleich aussehen ...“
„Oh, das würde ich nicht sagen! Es gibt schwarze und braune ...“
„Im Prinzip sehen alle gleich aus!“
„Wenn du da drauf bestehst ...“
Floritzl stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus: „Ja, das tu ich!“
„Du könntest recht haben“, mischte sich jetzt zum Glück Andrak ein. „Aber was ist damit gewonnen? Wenn man auch noch annimmt, dass die roten Drachen nicht zählen können, könnte man vielleicht noch zwei oder drei dazu mogeln – entsprechend dreckig und zerlumpt natürlich. Aber selbst bei Ameisen – oder Eichhörnchen – fällt es auf, wenn sie plötzlich alle weg sind.“
„Man müsste sie ablenken“, überlegte Bordeker. „Wenn doch die Windsbraut noch da wäre. Aber eine Fee ist einfach nie zur Hand, wenn man sie braucht. Wieso ist es eigentlich seit einer Weile so kalt?“
„Weil Feen eben doch da sind, wenn man sie braucht!“
Direkt neben Wigguld manifestierte sich eine weibliche Gestalt. Sie war ganz in Weiß und Silber gekleidet, ihr Rocksaum war mit Schneeflocken besetzt, um die Taille
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