The Bards Tale 01 - Die Burg der Verräter
hatte er vollkommen seine Musik vergessen. Als er sich jetzt Meister Aidans vorwurfsvollen Blick wegen dieses Versäumnisses vorstellte, holte er seine Laute heraus, stimmte sie behutsam, weil sie seit einer Weile nicht mehr gespielt worden war, und übte dann einige Tonleitern.
Hm. Seine Finger waren steif. Doch als er weiter-machte, wurden sie geschmeidig und schienen sich an das zu erinnern, was sie eigentlich tun sollten. Kevin ging mehrere Male die Tonleitern durch, von den einfachsten bis zu den kompliziertesten und wieder zurück, bis er hörte, wie Lydia laut vernehmlich gähnte. Mit einem Grinsen stimmte der Bardling nun ein vergnügtes kleines Frühlingslied an, das in den meisten Menschenländern bekannt war. ›Die Mädchengirlande‹.
Während er spielte, fühlte Kevin Blicke auf sich ruhen. Er schaute hoch und ertappte Naitachal, der die Laute anstarrte. Der Blick der schrägen blauen Augen war offen, weil Naitachal sich unbeobachtet glaubte, und so sehnsüchtig, daß den Bardling ein plötzliches Mitgefühl durchflutete. Er erinnerte sich, wie Naitachal zugegeben hatte, daß die Dunklen Elfen keine eigene Musik kannten.
Wie schrecklich! Wie schrecklich einsam muß das sein!
Naitachal bemerkte plötzlich, daß Kevin ihn beobachtet hatte, wandte sich abrupt ab und tat so, als repariere er etwas an seiner Ausrüstung.
»O nein, so leicht kommst du mir nicht davon«, murmelte der Bardling und krabbelte herüber, neben den Dunklen Elf. Von einem Impuls getrieben, den er selbst nicht ganz verstand, hielt ihm Kevin die Laute hin. »Hier, nimm sie.«
»Ich … ich kann nicht … Ich meine, ich weiß nicht wie …«
»Ich werde es dir zeigen. Nimm sie.«
Naitachal nahm die Laute so behutsam in die Hand, als wäre sie ein Baby. Kevin seufzte.
»Nicht so. So zerbrechlich ist sie nicht, ehrlich. Du mußt sie so halten … hier, siehst du, so … Richtig! Und jetzt gib sie mir kurz zurück, dann zeige ich dir etwas. So erzeugst du einzelne Töne.« Er strich mit dem Finger über eine Saite und glitt dabei mit dem der anderen Hand von Bund zu Bund über den Steg. »Siehst du? Der Ton wird immer dunkler, je weiter sich mein Finger vom Korpus der Laute entfernt. Versuch du es.«
Vorsichtig berührte Naitachal eine Saite. Als ein Ton erklang, hätte Naitachal die Laute vor Schreck beinah fallen lassen. Dann grinste er über seine eigene Reaktion.
Anschließend spielte der Dunkle Elf zu Kevins Überraschung die Noten, ohne sich einmal zu verspielen.
»Du hast ein gutes Gehör! Wollen wir jetzt einen oder zwei Akkorde versuchen?«
Naitachal zuckte verlegen mit den Schultern. »Was immer du vorschlägst.«
Kevin zeigte dem Dunklen Elf die richtigen Fingersätze, schlug die Grundakkorde an und reichte ihm dann die Laute zurück. Naitachal spielte das erste Mal etwas holprig, doch beim zweiten Mal wiederholte er fehlerlos.
»Hey, das ist großartig!« erklärte der Bardling.
Der Dunkle Elf grinste, diesmal freudig vor Selbstbewußtsein. Zur Verblüffung des Bardlings begann Naitachal sehr langsam und behutsam, die Melodie von ›Die Mädchengirlande‹ auszuprobieren.
»Das … das ist wundervoll. Und du hast sie mich nur einmal spielen hören!« Kevin unterdrückte den schwachen, irrationalen Anflug von Eifersucht darüber, daß jemand fähig war, seine Laute zu spielen, und fügte aufrichtig hinzu: »Weißt du, wie lange ich gebraucht habe, zu lernen, was du in nur einer einzigen Stunde …« Der Bardling hielt inne, und seine Gedanken überschlugen sich.
»Naitachal, hör mir zu, du darfst es hiermit nicht genug sein lassen.« Kevins Worte überstürzten sich fast vor Eifer. »Ich meine es ernst, wenn wir das alles überstanden haben, mußt du Musikunterricht nehmen, du mußt einfach! Nein, du kannst das nicht einfach mit einem Kopf schütteln abtun. Musik könnte ein so wunderbarer Trost für dich sein – und du hast Talent, echte musikalische Begabung.«
»Das ist das Lächerlichste, was ich jemals gehört habe.«
Doch trotz allen Protestes gab Naitachal die Laute nicht zurück. Als würde er von einem inneren Dämon getrieben, beugte er sich erneut über sie, spielte wiederum ›Die Mädchengirlande‹ und noch einmal, wobei er allmählich das richtige Tempo erreichte.
Plötzlich hielt der Dunkle Elf inne. Mit einem verlegenen und erfreuten Lachen wollte er Kevin die Laute zurückgeben. Doch Kevin merkte, wie die anderen sie verwirrt anstarrten. So benahm sich doch kein schrecklicher Schwarzer
Weitere Kostenlose Bücher