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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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hatte mich erschüttert. Ich hatte einen halbherzigen Versuch unternommen, doch die Komplexität seines Bewusstseins war für mich unergründlich gewesen. »Nun ja«, hatte er geseufzt und an seiner Zigarre gezogen. »Es war einen Versuch wert, Liebes. Jetzt verschwinde. Ich habe Frauen zu beglücken und Spiele zu gewinnen.«
    Vielleicht hätte ich es sogar geschafft. Wenn ich es wirklich gewollt hätte, hätte ich Jax’ Körper vielleicht übernehmen und diese verdammte Zigarre ausdrücken können, aber eben diese Fähigkeit jagte mir Angst ein. Jemanden zu kontrollieren, stellte eine gewaltige Verantwortung dar, zu gewaltig für mich. Selbst wenn er mir eine Gehaltserhöhung versprach. Ich würde jederzeit im Bewusstsein von London herumspazieren, aber ich würde niemals die Kontrolle darüber an mich reißen. Für kein Geld der Welt.
    »Paige?«
    Ich schreckte aus meinen Erinnerungen auf. »Nein«, antwortete ich. »Ich hätte nicht von Aludra Besitz ergreifen können. Und von dir auch nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Ich kann keine Menschen kontrollieren. Und ganz sicher keine Rephs.«
    »Würdest du es denn gerne tun?«
    »Nein. Und du kannst mich nicht dazu zwingen.«
    »Das habe ich auch gar nicht vor. Ich möchte dir lediglich eine Möglichkeit aufzeigen, wie du deinen ›Horizont erweitern‹ kannst, wie man bei euch so sagt.«
    »Indem ich anderen Schmerzen zufüge.«
    »Eine gut ausgeführte Besessenheit sollte keinerlei Schmerzen verursachen. Und ich erwarte gar nicht, dass du von einem Menschen Besitz ergreifst. Sicherlich nicht heute Nacht.«
    »Was willst du dann?«
    Er wandte sich ab, und ich folgte seinem Blick, der zum anderen Ende der Wiese glitt. Dort trat das Reh gerade mit dem Huf gegen einige Blumen und beobachtete, wie die Blütenköpfe schwankten. »Nuala«, schlussfolgerte ich.
    »Ja.«
    Ich sah zu, wie das Tier den Kopf neigte und an einem Grasbüschel schnupperte. Mir war nie der Gedanke gekommen, dass man zu Übungszwecken auch von Tieren Besitz ergreifen könnte. Ihr Bewusstsein unterschied sich sehr von dem der Menschen – es war weniger komplex und weniger rational – , doch das machte es eventuell noch schwieriger. Vielleicht war es für mich sogar unmöglich, mein menschliches Bewusstsein in einen Tierkörper zu zwängen. Würde ich mit der Traumlandschaft eines Tieres noch wie ein Mensch denken? Und es gab noch mehr zu beachten: Würde ich dem Reh damit wehtun? Würde es gegen mein Eindringen ankämpfen oder mich problemlos einlassen?
    »Ich weiß nicht«, sagte ich zögernd. »Sie ist zu groß. Vielleicht schaffe ich es nicht, sie unter meine Kontrolle zu bringen.«
    »Dann suche ich dir etwas Kleineres.«
    »Was genau versprichst du dir davon?« Als er nicht antwortete, wurde ich deutlicher: »Für jemanden, der mir angeblich nur ›eine Möglichkeit aufzeigen‹ will, drängelst du aber ganz schön.«
    »Ich möchte, dass du diese Möglichkeit nutzt, das bestreite ich gar nicht.«
    »Warum?«
    »Weil ich möchte, dass du überlebst.«
    Mit einem scharfen Blick versuchte ich, in seinen Augen zu lesen. Keine Chance. Das Gesicht eines Rephait hatte etwas an sich, das keine Rückschlüsse auf die Gefühlslage zuließ. »Also schön«, sagte ich schließlich. »Ein kleineres Tier, ein Insekt, Nagetier oder vielleicht ein Vogel. Etwas mit einem eingeschränkten Bewusstsein.«
    »Nun gut.«
    Er wollte sich abwenden, zögerte dann aber. Mit einem schnellen Blick zu mir zog er etwas aus der Tasche: eine Halskette mit einem Anhänger. »Trage das«, befahl er.
    »Warum?«
    Doch er war schon weg. Ich setzte mich auf einen Stein und versuchte, das ungute Gefühl zu unterdrücken, das sich in mir breitmachen wollte. Jax würde jetzt wohl zustimmend nicken, aber ich war mir nicht sicher, ob Nick ebenfalls dieser Meinung wäre.
    Ich musterte den Anhänger in meiner Hand. Er war ungefähr so groß wie mein Daumen und hatte die Form von zwei geschwungenen Flügeln. Als ich mit dem Finger darüber strich, löste das eine kaum merkliche Erschütterung im Æther aus. Offenbar war er sublimiert. Ich streifte die Kette über meinen Kopf.
    Nach einer Weile kehrte Nuala zu mir zurück, sie hatte das Interesse an dem Gras verloren. Ich hatte mich inzwischen an den Felsblock gelehnt und die Hände tief in den Jackentaschen vergraben. Es war jetzt extrem kalt, sodass mein Atem weiße Wolken bildete. »Hallo«, begrüßte ich das Tier. Nuala schnüffelte an meinen Haaren, als wollte sie so herausfinden, was

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