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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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erklärte er, »um dich mit der Unterwelt zu konfrontieren. Du kannst sie nicht betreten. Aber du wirst sie sehen.«
    Auf meiner Stirn bildeten sich Schweißtropfen. Vorsichtig trat ich von dem Eis herunter. Langsam spürte ich überall Geister.
    »Die Nacht ist die Zeit der Geister.« Der Wächter blickte zum Mond hinauf. »Jetzt sind die Schleier am dünnsten. Stell dir den Kältepunkt als einen Riss in ihrem Stoff vor.«
    Ich beobachtete die vereiste Stelle. Etwas daran ließ meinen Geist zittern.
    »Du hast heute Nacht zwei Aufgaben zu erfüllen, Paige«, sagte er und drehte sich zu mir um. »Beide werden dich an die Grenzen deines Verstandes treiben. Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass sie dir letztendlich helfen werden?«
    »Eher nicht, aber bringen wir es hinter uns.«

Kapitel Sechzehn
    D IE A UFGABEN
    Der Wächter verriet mir nicht, wo wir hingingen, sondern führte mich wortlos zu einem anderen Pfad, der sich über die Rasenflächen von Magdalen zog. Überall spürte ich Geister: in der Luft, im Wasser – die Geister der Toten, die einst hier gewandelt waren. Ich konnte sie nicht hören, aber in einem Umkreis von gut einem Kilometer rund um den geöffneten Kältepunkt spürte ich sie ebenso stark wie Lebende.
    Widerwillig hielt ich mich dicht beim Wächter. Falls einer dieser Geister bösartig war, würde er ihn besser abwehren können als ich, das fühlte ich.
    Die Dunkelheit wurde immer undurchdringlicher, je weiter wir über das Gelände wanderten und uns von den Laternen der Residenz entfernten. Der Wächter schwieg eisern, als wir eine durchnässte Wiese überquerten. Die gepflegten Rasenflächen waren inzwischen kniehohem Gras und Unkraut gewichen. »Wo gehen wir hin?«, fragte ich. Meine Stiefel und Strümpfe waren klatschnass.
    Er antwortete nicht.
    »Du sagtest, ich wäre deine Schülerin, nicht deine Sklavin«, versuchte ich es noch einmal. »Und ich möchte wissen, wohin wir gehen.«
    »Zu den Außenanlagen.«
    »Warum?«
    Wieder keine Antwort.
    Die Nacht wurde immer kälter, unnatürlich kalt. Nach einer gefühlten Ewigkeit blieb der Wächter stehen und zeigte auf etwas.
    »Da.«
    Zunächst sah ich gar nichts. Als meine Augen sich an das gedämpfte Mondlicht gewöhnt hatten, entdeckte ich die Umrisse eines Tiers. Ein vierbeiniges Wesen mit seidigem Fell. Der Hals schimmerte schneeweiß, und das lange Gesicht war schmal, mit dunklen Augen und einer kleinen schwarzen Nase. Kurz fragte ich mich, wer von uns wohl verblüffter dreinblickte.
    Ein Reh. So etwas hatte ich seit meiner Zeit in Irland nicht mehr gesehen, als meine Großeltern mich einmal mit in die Galtee Mountains genommen hatten. Kindliche Erregung packte mich.
    »Es ist wunderschön«, hauchte ich.
    Der Wächter näherte sich dem Tier, das an einem Pflock angebunden war. »Ihr Name ist Nuala.«
    »Das ist irisch.«
    »Ja, eine Kurzform von Fionnuala. Das bedeutet ›weiße Schultern‹ oder auch ›helle Schultern‹.«
    Ich sah genauer hin. Rechts und link an ihrem Hals zeichneten sich zwei große weiße Flecken ab. »Wer hat sie so getauft?« In Scion war es nicht ungefährlich, Haustieren oder Kindern irische Namen zu geben. Da kam man schnell in Verdacht, mit den Aufständischen zu sympathisieren.
    »Ich.«
    Er löste das Band von ihrem Hals. Nuala stupste ihn mit der Schnauze an. Eigentlich erwartete ich, dass sie weglaufen würde, aber sie blieb ruhig stehen und sah zum Wächter auf. Er redete in einer seltsamen Sprache auf sie ein und streichelte ihren Kopf. Das Tier schien ihm völlig fasziniert zuzuhören. »Würdest du sie gerne füttern?« Der Wächter ließ einen roten Apfel aus seinem Ärmel gleiten. »Für die hier hat sie eine besondere Vorliebe.«
    Er warf mir den Apfel zu. Nun drehte Nuala sich mit zuckender Nase zu mir um. »Ganz vorsichtig«, mahnte er. »Sie ist sehr schreckhaft, wenn in der Nähe ein Kältefleck geöffnet ist.«
    Ich wollte sie auf keinen Fall verschrecken – aber wenn er es nicht tat, wieso sollte ich dann? Ich streckte die Hand aus und hielt ihr den Apfel hin. Das Reh schnüffelte daran. Wieder sagte der Wächter etwas zu ihr, woraufhin sie hastig zubiss.
    »Vergib ihr, sie ist sehr hungrig.« Er tätschelte ihren Hals und gab ihr noch einen Apfel. »Ich komme nur so selten dazu, nach ihr zu sehen.«
    »Aber sie ist doch hier in Magdalen.«
    »Ja, aber ich muss sehr vorsichtig sein. Innerhalb der Stadtgrenzen sind keine Tiere gestattet.«
    »Und warum hältst du sie dann?«
    »Zur

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