The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
wächst nicht auf der Erde. Sie heilt die meisten durch Geister verursachten Verletzungen. Hättest du nach deiner Begegnung mit dem Poltergeist Amarant genommen, wäre wahrscheinlich keine derart große Narbe zurückgeblieben. Außerdem würde sie einen Teil der Hirnschädigungen heilen, falls du deinen Geist zu oft ohne lebenserhaltende Maschinen einsetzen solltest.«
Sieh mal einer an, ein Heilmittel für mein Hirn. Wenn er von diesem Amarant Wind bekam, würde Jaxon mich überhaupt nicht mehr schlafen lassen. »Und warum trinkst du es?«
»Alte Verletzungen. Amarant lindert die Schmerzen.«
Als das Schweigen sich hinzog, war ich wieder an der Reihe. »Das gehört dir.« Ich streckte ihm die Kette entgegen.
»Behalte sie.«
»Ich will sie nicht.«
»Ich bestehe darauf. Emim schreckt sie vielleicht nicht ab, aber bei einem Poltergeist könnte dir der Anhänger das Leben retten.«
Ich legte das Schmuckstück auf meine Armlehne. Der Wächter musterte es kurz, dann wanderte sein Blick zu mir.
Es klopfte vorsichtig an der Tür, und ein Junge in meinem Alter kam herein. Vielleicht war er sogar ein wenig älter. Er trug eine graue Tunika, und seine Augen waren stark gerötet. Trotzdem war er wunderschön, als wäre er einem alten Gemälde entstiegen. Die feinen Gesichtszüge wurden von weichen, blonden Haaren umrahmt und seine Lippen und Wangen waren sanft gerötet wie zarte Blütenblätter. Abgesehen von der Rötung waren seine Augen strahlend blau und klar. Ich glaubte, den fragilen Hauch einer Aura an ihm zu spüren.
»Einen Kaffee bitte, Michael«, trug ihm der Wächter auf. »Mit Zucker, Paige?«
»Nein, danke«, sagte ich. Michael verbeugte sich und ging. »Dann ist er also dein ganz persönlicher Sklave, ja?«
»Michael war ein Geschenk der Herrscherin.«
»Wie romantisch.«
»Eigentlich nicht.« Der Wächter warf einen Blick aus dem Fenster. »Man kann kaum etwas dagegen tun, wenn Nashira etwas will. Oder jemanden.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Wirklich?«
»Ich weiß, dass sie fünf Engel hat.«
»Ja, das stimmt. Aber sie sind ebenso ihre Schwäche, wie ihre Stärke.« Wieder nippte er an seinem Getränk. »Die Herrscherin leidet unter dem Einfluss ihrer sogenannten Engel.«
»Das tut den Engeln sicher fürchterlich leid.«
»Sie verabscheuen sie.«
»Was du nicht sagst.«
»Allerdings.« Er war offenbar über meine Verachtung belustigt. »Wir unterhalten uns gerade mal seit zwei Minuten, Paige. Versuch doch, dir noch ein wenig Sarkasmus für später aufzuheben.«
Am liebsten hätte ich ihn erwürgt. Leider ging das nicht.
Der Junge kehrte zurück und stellte ein Tablett mit einem Becher Kaffee und einem großen Teller gerösteter Kastanien auf den Tisch, die mit Zimt bestäubt waren. Bei dem süßen Duft lief mir das Wasser im Mund zusammen. In der Nähe der Blackfriars Bridge gab es einen Händler, der im Winter diese Köstlichkeit anbot. Die hier sahen sogar noch besser aus als seine, die braunen Schalen waren weit genug aufgeplatzt, dass man den samtigen, weißen Kern sehen konnte. Außerdem gab es Obst: Birnenspalten, glänzende Kirschen und rote Apfelstücke.
Michael machte ein Zeichen mit der Hand, woraufhin der Wächter den Kopf schüttelte. »Danke, Michael, das wäre alles.«
Er verbeugte sich noch einmal und verschwand. In mir tobte der Drang, ihn anzuschreien. Er war so verdammt unterwürfig .
»Du sagtest ›sogenannte‹ Engel«, nahm ich den Faden wieder auf und zwang mich innerlich zur Ruhe. »Was genau meinst du damit?«
Der Wächter überlegte kurz.
»Iss«, sagte er dann. »Bitte.«
Ich nahm mir eine Kastanie, sie war noch ganz heiß. Ein Geschmack von Wärme und Winter.
»Du weißt ja sicherlich, was ein Engel ist: eine Seele, die auf diese Ebene zurückkehrt, um jene zu beschützen, die sie durch ihren Tod retten wollte«, erklärte er. »Wir kennen Engel und Erzengel, und ich gehe davon aus, dass die Seher auf der Straße das ebenfalls wissen.« Ich nickte. »Nashira kann eine dritte Gruppe von Engel befehligen.«
»Ach?«
»Sie kann gewisse Arten von Geistern einfangen.«
»Dann ist sie also eine Fesselmeisterin.«
»Mehr als das, Paige. Falls sie beschließt, einen Seher zu töten, kann sie seinen Geist nicht nur einfangen, sondern auch nutzen. Solange dieser Geist an sie gebunden ist, wirkt sich seine Gegenwart auf ihre Aura aus. Und eben diese Veränderungen ermöglichen es ihr, mehrere Gaben gleichzeitig in sich zu vereinen.«
Ich war so
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