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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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klargemacht, dass wir – was auch immer wir taten – erschossen würden. »Wir haben verstanden«, antwortete ich.
    Aber der Wachmann war noch nicht fertig. Nun holte er ein silbernes Röhrchen und Latexhandschuhe aus seinem Ausrüstungsgürtel. Bitte, nicht noch eine Spritze. »Du zuerst.« Er packte mich am Handgelenk. »Mund auf.«
    »Was?«
    »Mach. Den. Mund. Auf.«
    Automatisch wollte ich mich zum Wächter umdrehen, aber sein Schweigen zeigte deutlich, dass er nichts gegen die Prozedur einzuwenden hatte. Noch bevor ich ihm gehorchen konnte, drückte der Wachmann meinen Mund auf. Am liebsten hätte ich den Scheißkerl gebissen. Mit dem Plastikröhrchen strich er über meine Lippen und schmierte etwas Kaltes und Bitteres darauf.
    »Zumachen.«
    Da mir nichts anders übrig blieb, klappte ich den Mund zu. Als ich ihn wieder öffnen wollte, konnte ich es nicht. Entsetzt riss ich die Augen auf. Scheiße, verdammt!
    »Nur etwas hautverträglicher Klebstoff.« Der Wachmann zog Carl zu sich heran. »Verliert nach zwei oder drei Stunden seine Wirkung. Wir wollen kein Risiko eingehen, immerhin kennt ihr Syndikatler euch ja alle.«
    »Aber ich bin kein … «, setzte Carl an.
    »Halt’s Maul.«
    Und endlich war Carl gezwungen, den Mund zu halten.
    » XIX -49–30 ist nicht verklebt. Von ihr bekommt ihr eure Befehle«, erklärte der Wachmann weiter. »Ansonsten haltet euch an eure Vorgaben.«
    Ich drückte mit der Zunge gegen meine Lippen, aber sie gaben nicht nach. Bestimmt machte es diesem Wachmann einen Heidenspaß, ehemaligen Syndikatsmitgliedern so richtig eins auszuwischen.
    Nachdem er unsere Münder verschlossen hatte, salutierte der Wachmann vor dem Wächter und kehrte anschließend in das triste graue Gebäude zurück, aus dem er gekommen war. Neben der Tür hing ein Schild: SCION ZITADELLE LONDON – NVD KOMMANDOPOSTEN – I. PARZELLE , SEKTOR 4. Daneben hing eine Karte der näheren Umgebung. Darauf entdeckte ich das Einkaufszentrum in Covent Garden, eben jenen Topf, unter dessen Deckel der Schwarzmarkt brodelte. Wenn ich doch nur irgendwie dorthin kommen konnte. Aber vielleicht schaffte ich es ja noch.
    Carl schluckte schwer. Obwohl er Schilder dieser Art seit Jahren kannte, waren sie noch immer Furcht einflößend. Ich sah zum Wächter hoch. »Situla und ihre Menschen werden sich dem Platz von Westen her nähern«, erklärte er schließlich. »Seid ihr bereit?«
    Keine Ahnung, wie er meinte, dass wir ihm antworten sollten. Carl nickte. Der Wächter griff in seine Jacke und holte zwei Masken hervor.
    »Hier«, er reichte uns je eine. »Sie werden eure Identität verbergen.«
    Das waren keine gewöhnlichen Masken. Sie trugen ausdruckslose, absolut gleich aussehende Gesichtszüge zur Schau, mit schmalen Augenschlitzen und Luftlöchern unter der Nase. Als ich meine aufsetzte, verschmolz sie mit meiner Haut. Die geschäftigen Bürger von Scion würden mich damit keines zweiten Blickes würdigen, ebenso würde mich meine Gang so unmöglich erkennen können. Und da meine Lippen versiegelt waren, konnte ich auch nicht um Hilfe rufen.
    Wie clever das alles doch ausgeheckt war.
    Der Wächter musterte mich noch einen Moment, bevor er seine eigene Maske aufsetzte. Aus seinen Augenschlitzen drang ein unheimliches Glühen hervor. Zum ersten Mal war ich froh, auf seiner Seite zu kämpfen.
    Wir gingen Richtung Nelsonsäule. Wie andere markante Säulen auch, etwa die mit den Sonnenuhren oder das Monument, wurde sie je nach Sicherheitslage grün oder rot beleuchtet. Momentan war sie grün, genau wie die Brunnen. Auf der Straße waren in regelmäßigen Abständen Wachen postiert, wahrscheinlich mit der Anweisung, uns, falls nötig, zu unterstützen. Sie bedachten uns mit wachsamen Blicken, rührten sich aber nicht vom Fleck. Jeder von ihnen trug einen M4-Karabiner bei sich. Obwohl die NVD ihren eigentlichen Zweck nicht öffentlich machte, wusste doch jeder, dass sie mehr war als eine Polizeieinheit. Einer Nachtwache kam man nicht mit irgendwelchen Beschwerden, wie es bei der SVD der Fall war. Zu ihnen ging man nur im äußersten Notfall, und grundsätzlich niemals, wenn man ein Seher war. Nicht einmal die Amaurotiker hatten gerne mit ihnen zu tun – immerhin waren es Widernatürliche.
    Carl hatte die Hände in den Taschen, ballte sie aber immer wieder zu Fäusten. Wie konnte ich aus dieser Sache rauskommen, ohne einen aus meiner Gang zu töten? Irgendwie musste ich ihnen zeigen, wer ich war. Und sie warnen, sonst würden sie

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