The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
ja.«
»Was wird sie mit mir machen?«
»Dir wurde die rote Tunika aberkannt.« Er stellte das Glas auf den Nachttisch. »Jetzt bist du eine Gelbjacke.«
Die Farbe der Feiglinge. Es gelang mir, ein bissiges Lachen auszustoßen, was allerdings meinen Rippen nicht gut tat. »Nichts könnte mich weniger interessieren als die Frage, in welche Tunika sie mich steckt. Umbringen will sie mich so oder so, auch wenn ich keine Rotjacke bin.« Meine Schultern begannen zu zittern. »Bring mich einfach zu ihr. Dann habe ich es hinter mir.«
»Du bist erschöpft und verwundet, Paige. Wenn es dir wieder besser geht, sehen die Dinge vielleicht schon ganz anders aus.«
»Und wann wird das sein?«
»Wenn du möchtest, kannst du morgen das Bett verlassen.«
Überrascht runzelte ich die Stirn, hörte aber damit auf, als meine Gesichtsmuskeln schmerzhaft protestierten. »Morgen schon?«
»Bevor wir London verlassen haben, habe ich den Fahrer gebeten, in einer Sci SORS -Einrichtung Scion-Morphine und entzündungshemmende Medikamente zu besorgen. Innerhalb von zwei Tagen wirst du vollständig genesen sein.«
Scion-Morphine. Das Zeug war unschlagbar. »Hast du bei Sci SORS meinen Vater gesehen?«
»Ich selbst bin nicht hineingegangen. Nur eine Handvoll Politiker des Archonitats wissen von unserer Existenz.«
Damit wandte er seine Aufmerksamkeit dem Zugang an meiner Hand zu. Mit wie immer in Leder gehüllten Fingern überprüfte er, ob das Klebeband noch hielt.
»Warum tragt ihr eigentlich diese Handschuhe?« Leiser Ärger regte sich in mir. »Sind Menschen so widerlich, dass ihr sie nicht berühren wollt?«
»Sie hat es so entschieden.«
Meine Wangen erwärmten sich unter den Blutergüssen. Auch wenn ich ihn nicht ausstehen konnte, hatte er anscheinend einige Stunden damit verbracht, mich wieder zusammenzuflicken. »Was ist mit den anderen passiert?«, wollte ich wissen.
»1 und 12 blieben unverletzt. Situla wurde in einen Ruhezustand versetzt, hat sich aber bereits erholt.« Er zögerte kurz. »30 ist tot.«
»Tot? Wie das?«
»Ertränkt. Wir haben sie im Brunnen gefunden.«
Als ich das ganz begriffen hatte, wurde mir kalt. Ich hatte Amelia nicht sonderlich gemocht, aber den Tod hatte sie sicher nicht verdient. Kurz fragte ich mich, wer aus der Gang dafür verantwortlich war. »Was ist mit Carter?«
»Sie ist entkommen. Ein Fahrzeug hat sie von der Brücke fortgebracht, bevor wir sie aufhalten konnten.«
Wenigstens war Carter die Flucht gelungen. Wie genau ihre Kräfte auch aussehen mochten – auf keinen Fall durften sie in Nashiras Hände fallen. »Und die Siegel?«
»Alle entkommen. Ich habe Nashira noch nie so wütend erlebt.«
Überwältigende Erleichterung durchströmte mich. Es ging ihnen gut. Die Gang kannte I-4 wie ihre Westentasche, mit allen geheimen Winkeln und Schlupflöchern. Bestimmt war es ein Leichtes für sie gewesen zu verschwinden, selbst wenn Nadine und Zeke verwundet waren. Jeder Seher in diesem Sektor war Jax ergeben. Wahrscheinlich hatten seine Boten die beiden weggeschafft. Ich konzentrierte mich wieder auf den Wächter.
»Du hast mich gerettet.«
Für eine Sekunde huschte sein Blick über mein Gesicht. »Ja.«
»Wenn du dem Orakel auch nur ein Haar gekrümmt hast … «
»Ich habe ihn nicht angerührt. Ich ließ ihn gehen.«
»Warum?«
»Weil mir bewusst war, dass er dein Freund ist.« Er setzte sich auf die Bettkante. »Ich weiß es, Paige. Ich weiß, dass du das fehlende Siegel bist. Nur ein Narr hätte sich das nicht zusammengereimt.«
Ich hielt seinem Blick stand. »Wirst du es Nashira sagen?«
Eine gefühlte Ewigkeit lang sah er mich einfach nur an. Das waren die längsten Sekunden meines Lebens.
»Nein«, sagte er schließlich. »Aber sie ist nicht dumm. Sie hegt schon lange den Verdacht, dass du es sein könntest. Irgendwann wird sie es wissen.«
Mein Magen schmerzte vor Anspannung. Der Wächter stand auf und ging zum Kamin hinüber.
»Es haben sich einige Komplikationen entwickelt.« Er starrte in die Flammen. »Wir haben uns gegenseitig vor dem ersten Tod bewahrt. Nun sind wir einander verpflichtet, durch eine Lebensschuld miteinander verbunden. Solch eine Schuld bringt gewisse Konsequenzen mit sich.«
»Lebensschuld?« Trotz des restlichen Morphins in meinem Blut durchforstete ich mein Gedächtnis. »Wann habe ich dein Leben gerettet?«
»Dreimal: Du hast meine Wunden gereinigt, was mir in dieser ersten Nacht die nötige Zeit verschafft hat, um Hilfe zu suchen. Du hast
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