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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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bleiben?«
    »Theoretisch ja. Allerdings habe ich es nie innerhalb einer Traumlandschaft versucht, nur im Æther.«
    »Warum wollten sie, dass du das tust?«
    Uns war beiden klar, wer mit sie gemeint war. Mein Instinkt riet mir, den Mund zu halten, aber er wusste ja bereits, dass ich für Jaxon Hall arbeitete. »Weil das im Syndikat nun einmal so ist«, erklärte ich. »Die Denkerfürsten erwarten eine Gegenleistung für ihren Schutz.«
    Seine Aura veränderte sich. »Verstehe.« Er fuhr seine Schutzschilde herunter und öffnete mir die Tore. »Ich bin bereit.«
    Mithilfe der Kissen richtete ich mich auf. Dann schloss ich die Augen, atmete tief ein und versenkte mich in meine Traumlandschaft.
    Das Kornblumenfeld glich einem verwischten Gemälde. Alles zerfloss und wurde durch das Morphin in meinem Blut aufgeweicht. Ich wanderte zwischen den Blumen hindurch, um den Æther zu erreichen. Als ich die letzte Grenze vor mir hatte, streckte ich die Hände aus und sah zu, wie die Illusion meines Körpers sich vor meinen Augen auflöste. Innerhalb der eigenen Traumlandschaft sieht man nur aus wie man selbst, wenn das Bewusstsein sich dementsprechend wahrnimmt. Sobald ich sie verließ, nahm ich meine Geistergestalt an: fließend, formlos, ein gesichtsloser Schimmer.
    Von außen hatte ich die Traumlandschaft des Wächters bereits gesehen, und noch immer löste sie leise Furcht in mir aus. Sie erinnerte mich an eine schwarze Murmel, die in der stillen Finsternis des Æthers kaum wahrnehmbar war. Als ich mich näherte, liefen kleine Wellen über ihre Oberfläche. Er senkte sämtliche Schutzschilde, mit denen er sich über die Jahrhunderte ausgerüstet hatte. Mühelos glitt ich an den Wänden vorbei in seine Hadopelagialzone. Während unseres Trainings war ich auch so weit gekommen, aber nur mit gewalttätigen Attacken. Jetzt konnte ich weiter vordringen. Ich orientierte mich an der abnehmenden Dunkelheit und nahm so Kurs auf das Zentrum seines Bewusstseins.
    Ascheflocken streiften mein Gesicht. Während ich in unbekanntes Terrain vordrang, liefen mir Schauer über die nicht reale Haut. Im Verstand des Wächters herrschte absolute Stille. Normalerweise fand man in den äußeren Gebieten jede Menge Trugbilder, die veranschaulichten Ängste und Zweifel der jeweiligen Person, aber hier war nichts. Nur Schweigen.
    Der Wächter erwartete mich in seiner Zone des Sonnenlichts, falls man es denn Sonnenlicht nennen konnte – es erinnerte mehr an Mondschein. Sein Körper war mit Narben übersät, die Haut ohne jede Farbe. So sah er sich selbst also. Wie ich wohl aussah? Jetzt war ich in seiner Traumlandschaft, spielte nach seinen Regeln. Meine Hände waren bis auf ein sanftes Leuchten unverändert, das konnte ich sehen. Meine neue Traumgestalt. Aber sah er mein wahres Gesicht? Darin konnte sich so gut wie alles abzeichnen: Unterwürfigkeit, Wahnsinn, Naivität, Grausamkeit … Ich hatte keine Ahnung, was er von mir dachte, und würde es wohl auch nie herausfinden. In Traumlandschaften gab es keine Spiegel. Also würde ich die Paige, die er sich erschaffen hatte, niemals sehen.
    Ich betrat die leere, sandige Fläche. Zwar wusste ich nicht, was ich genau erwartet hatte, aber das sicher nicht. Der Wächter begrüßte mich mit einem Nicken. »Willkommen in meiner Traumlandschaft. Entschuldige die spartanische Ausstattung«, fügte er hinzu und begann, ziellos auf und ab zu wandern. »Ich habe nicht oft Gäste.«
    »Hier ist nichts.« Es war so kalt, dass mein Atem dampfte. »Überhaupt nichts.«
    Was nicht übertrieben war.
    »Unsere Traumlandschaft ist der Ort, wo wir uns am sichersten fühlen«, erwiderte der Wächter. »Vielleicht fühle ich mich am sichersten, wenn ich an nichts denke.«
    »Aber in den dunkleren Schichten ist auch nichts.«
    Er antwortete nicht. Ich machte ein paar Schritte in den Nebel hinein.
    »Hier gibt es nichts für mich zu sehen. Was mich zu dem Schluss bringt, dass es in deinem Inneren nichts gibt: keine Gedanken, kein Gewissen. Keine Angst.« Ich drehte mich zu ihm um. »Haben alle Rephaim leere Traumlandschaften?«
    »Ich bin kein Traumwandler, Paige. Daher kann ich nur vermuten, wie andere Traumlandschaften aussehen.«
    »Was bist du?«
    »Ich kann andere ihre Erinnerungen träumen lassen. Kann sie miteinander verweben und Trugbilder erschaffen. Ich sehe den Æther durch die Linse der jeweiligen Traumlandschaft und durch das Traumkraut.«
    »Ein Oneiromant.« Fasziniert starrte ich ihn an. »Du bist ein

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