The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
seinen Augen. Ein sublimiertes Objekt, dafür geschaffen, einen Poltergeist abzuwehren. Und er hatte es mir gegeben. Obwohl ich es nicht hatte haben wollen und es vielleicht gar nicht getragen hätte. Der Wächter hob mich an seine Brust und stützte mit einer Hand meinen Nacken. »Hilfe ist unterwegs«, versprach er leise. »Sie sind gekommen, Paige. Die Siegel sind gekommen, um dich zu retten.«
Wieder wurde mir schwarz vor Augen, dafür schien der Lärm um mich herum zuzunehmen. Meine Traumlandschaft setzte alles daran, sich zu heilen. Der Schaden war immens, es würde wohl Tage dauern, bis der Regenerationsprozess einsetzen konnte. Vielleicht auch nie. So oder so konnte ich mich nicht rühren. Liss musste inzwischen das Leuchtsignal gezündet haben, doch uns lief die Zeit davon. Ich musste es bis auf das Trainingsgelände schaffen und den Zugang suchen. Ich wollte nach Hause. Ich musste nach Hause.
Als ich wieder zu mir kam, blendete mich ein grelles Licht. Das war kein Kerzenschein. Ich versuchte meine Augen abzuschirmen und keuchte angestrengt. »Paige.« Jemand griff nach meiner ausgestreckten Hand. Das war nicht der Wächter, das war jemand anders. »Paige, Süße.«
Diese Stimme kannte ich.
Er konnte aber gar nicht hier sein. Es musste Einbildung sein, ein Trugbild meiner kaputten Traumlandschaft. Doch als er meine Hand nahm, wusste ich, dass er echt war. Mein Kopf ruhte noch immer im Schoß des Wächters. »Nick«, presste ich hervor. Er trug seinen schwarzen Anzug und die rote Krawatte.
»Ja, sötnos , ich bin’s.«
Ich starrte auf meine Finger. Sie wurden langsam grau. Die Nägel zeichneten sich blass vor der dunkelvioletten Haut darunter ab.
»Paige.« Nicks Stimme war leise, aber drängend. »Augen schön offen halten. Bleib bei uns, Süße, komm schon.«
» D-d u musst weg.« Wie rau meine Stimme klang.
»Ich werde gehen. Und du auch.«
»Mach schon, Gesicht, keine Zeit«, befahl eine weitere Stimme. »Wir kümmern uns um unsere verlorene kleine Träumerin, wenn wir in der Zitadelle sind.«
Jaxon.
Nein, nein. Warum waren sie hier? Nashira würde sie entdecken. »Bis dahin ist es zu spät.« Wieder dieses grelle Licht. »Kein Pupillenreflex. Zerebraler Sauerstoffmangel. Wenn wir nichts unternehmen, wird sie sterben.« Jemand strich mir die Haare aus der feuchten Stirn. »Wo zum Teufel steckt Danica?«
Warum sagte der Wächter denn nichts? Er war da, das spürte ich.
Die nächste Ohnmacht. Beim Aufwachen merkte ich, dass etwas Mund und Nase bedeckte. Diesen Plastikgeruch kannte ich, das war PVS 2, die tragbare Version von Danis lebenserhaltender Maschine. Jetzt drängten sich auch mehr Traumlandschaften um mich. Nick hatte meinen Kopf in seine Armbeuge gelegt und drückte die Maske auf meinen Mund. Obwohl ich kaum die Augen offen halten konnte, sog ich gierig den Sauerstoff ein. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so erschöpft gewesen.
»Es funktioniert nicht. Ihre Traumlandschaft ist zertrümmert.«
»Dieser Zug wird sicher nicht auf uns warten, Gesicht.« Jaxons Stimme klang angespannt. »Dann trag sie. Wir brechen auf.«
Nur nach und nach kamen die einzelnen Wörter in meinem Gehirn an. Nachdem er minutenlang geschwiegen hatte, schaltete sich nun der Wächter ein: »Ich kann ihr helfen.«
»Komm ihr bloß nicht zu nahe«, sagte Nick.
»Uns bleibt keine Zeit mehr. An der Brücke wurden NVD -Wachen postiert, die bereits unterwegs sein dürften. Sie werden Ihre Aura sofort erkennen, Dr. Nygård. Dann ist Ihre Stellung bei Scion verloren.« Der Wächter blickte sie an. »Wenn Sie nichts unternehmen, wird Paige sterben. Ihre beschädigte Traumlandschaft kann geheilt werden, aber nur, wenn wir schnell handeln. Oder willst du deine Traumwandlerin verlieren, Weißer Fesselmeister?«
»Woher kennst du meinen Namen?« Jaxon spielte unruhig mit einer Münze. In der Dunkelheit war er kaum auszumachen, aber ich spürte, wie seine Traumlandschaft sich veränderte, als er ruckartig seine Schutzschilde hochfuhr.
»Wir haben so unsere Methoden.«
Ihre nächsten Worte hallten wie wirre Muster in meinen Ohren, die unmöglich zu entschlüsseln waren. Mir gelang es einfach nicht, ihnen einen Sinn zuzuordnen, bis Nick sich zu mir beugte und sein warmer Atem meine Wange streifte. »Paige«, flüsterte er mir ins Ohr, »dieser Mann sagt, er könne dich heilen. Kann ich ihm vertrauen?«
Vertrauen. Das Wort kannte ich. Es war wie eine in Sonnenlicht getauchte Blume, die am Rand meiner Wahrnehmung
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