The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Bühnenbretter. In meiner Traumlandschaft bahnten sich die Geister brachial einen Weg durch das Feld und zerfetzten die roten Blumen. Bilder flackerten vor meinen Augen auf. Jeder Gedanke, jede Erinnerung wurde zerstört. Blut, Feuer, Blut. Ein totes Feld. Eine gigantische Hand schien meine Brust niederzudrücken und festzuhalten. In einem Kasten, einem Sarg. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht atmen, nicht denken. Die fünf Geister durchbohrten mich wie ein Schwert und rissen Teile meines Bewusstseins an sich, Teile meiner Seele. Ich rollte mich zusammen und zuckte wie ein sterbendes Insekt.
Die Muskeln in meinen Armen und Beinen verkrampften sich. Ich öffnete die Augen. Das Licht blendete mich. Ich sah nur Nashira, sie hatte den Arm erhoben, und die Klinge funkelte im Schein der Kerzen. Dann war sie weg.
Obwohl die Anstrengung mir die Tränen in die Augen trieb, hob ich meinen Kopf vom Boden. Michael war auf ihren Rücken gesprungen, um sie abzulenken. Er hatte ein Messer gezogen. Damit zielte er nun auf ihren Nacken, verfehlte ihn aber knapp. Nashira zuckte mit dem Arm und schleuderte ihn von der Bühne. Er landete auf einem Clown, und beide gingen zu Boden.
Gleich würde sie sich wieder mir zuwenden. Und diesmal würde sie es zu Ende bringen. Ihr Gesicht tauchte vor mir auf, die Augen leuchteten glühend rot. Dann verschwamm alles. Sie wollte mich schwächen, sichergehen, dass ich nicht noch einmal mit meinem Geist zuschlagen konnte. Und meine Verbindung zum Æther unterbrechen. Ich war schon so gut wie tot. Sie kniete sich neben mich und bettete meinen Kopf in ihre Armbeuge.
»Vielen Dank, Paige Mahoney.« Die Messerspitze drückte gegen meine Kehle. »Ich werde diese Gabe in Ehren halten.«
Das war’s. Mir blieb nicht einmal ein abschließender Gedanke. Doch mit letzter Kraft schaffte ich es, ihr in die Augen zu sehen.
Dann war der Wächter da. Mit einer Unmenge an Geistern trieb er sie zurück, er schleuderte sie gegen ihre Schutzschilde wie ein Feuerspucker, der mit Fackeln jongliert. Hätte ich die Zweitsicht, dachte ich träge, sähe das jetzt bestimmt toll aus. Terebell und Alsafi waren auch da, außerdem ein paar andere … War das etwa Pleione? Ihre Gestalten schienen miteinander zu verschmelzen. Meine Traumlandschaft schickte mir seltsame Trugbilder. Dann hob mich jemand in seine Arme und trug mich von der Bühne.
*
In Form von kurzen Blitzen kehrte die Welt zurück. Ein wilder Sturm tobte durch meine Traumlandschaft: durch grell flackernde Risse strömten Erinnerungen, die Blumen wurden von einem heftigen Wind zerfetzt. Mein Bewusstsein war geplündert worden.
Die Außenwelt nahm ich nur halb wahr. Der Wächter war da. Ich erkannte seine Traumlandschaft, eine vertraute Präsenz in meiner Nähe. Offenbar trug er mich nach oben auf die Galerie. In den wenigen Minuten, in denen ich ohnmächtig gewesen war, musste irgendetwas passiert sein, und er brachte mich fort. Als er mich auf dem Boden ablegte, spürte ich, wie das Blut auf meinem Gesicht trocknete. Ich konnte mich nur mit Mühe daran erinnern, wo ich überhaupt war.
»Kämpfe dagegen an, Paige. Du musst dagegen ankämpfen.«
Sanft strich seine Hand über meine Haare. Ich konzentrierte mich auf sein Gesicht und versuchte, aus den verschwommenen Linien ein festes Bild zu machen.
Noch ein Gesicht tauchte vor mir auf, Terebell, vermutete ich. Dann war ich wieder eine Weile weg, und als ich aufwachte, dröhnte es in meinen Ohren. Der Lärm erhöhte noch den Druck hinter meinen Schläfen. Als der Schmerz mich zwang, ganz in die Realität zurückzukehren, bemerkte ich den prüfenden Blick des Wächters. Wir befanden uns auf der Galerie, unter uns tobte der Aufruhr in der Halle. »Paige, kannst du mich hören?«
Das klang nach einer Frage. Ich nickte.
»Nashira.« Mehr als ein Flüstern bekam ich nicht heraus.
»Sie lebt. Aber du ebenfalls.«
Immer noch. Nashira war immer noch hier. Kurz spürte ich Panik in mir aufflackern, aber mein Körper war zu geschwächt, um darauf zu reagieren. Es war also noch nicht vorbei.
Unten knallte ein Schuss. Die Augen des Wächters leuchteten, alles andere war dunkel. »Da war … « Er beugte sich näher über meine Lippen, um mich verstehen zu können. »Da war ein Poltergeist. Sie hat einen … Poltergeist.«
»Ja, aber du warst vorbereitet.« Seine Finger glitten über mein Dekolleté und die Kette. »Sagte ich nicht, dass er dir das Leben retten könnte?«
Der Anhänger reflektierte das Licht aus
Weitere Kostenlose Bücher