The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
chaotischer Wirbel aus Farben, Dunkelheit, Licht und Feuer, einem ganzen Spektrum von Dingen, die ich nie wahrgenommen hatte. Sahen etwa alle Rephs die Welt so? Überall waren Auren. Das war die Zweitsicht … Doch plötzlich war ich blind, ihre Augen verweigerten mir den Dienst. Sie wollten nicht, dass ich etwas sah. Es waren eben nicht meine Augen. Mit Gewalt riss ich die Lider auf und starrte auf meine Hand: zu groß und leuchtend. Wieder schwand meine Sicht. Sie kämpfte gegen mich an. Beeilung, Paige .
Das Messer. Hier irgendwo war das Messer. Schnell . Ich griff danach. Selbst diese kleine Handbewegung war so anstrengend, als würde ich Hanteln stemmen. Töte sie . In meinen Ohren dröhnten Schreie, seltsame Geräusche und Stimmen – Tausende von Stimmen. Töte sie . Meine neuen Finger schlossen sich um den Griff der Waffe.
Das Messer. Ich hatte es. Ruckartig riss ich den Arm zurück und rammte die Klinge mit einer fließenden Bewegung in meine Brust. Die Abgesandten schrien entsetzt. Vor meinen Augen wurde es wieder dunkel. Alles flackerte. Immer tiefer trieb ich mit meiner neuen Hand das Messer in sie hinein, in dieses schrechlicke Was-auch-immer, aus dem Nashiras Körper bestand. Keine Schmerzen. Sie war taub auf die Stiche einer amaurotischen Klinge. Noch einmal stieß ich zu, diesmal weiter links, ungefähr an der Stelle, wo bei einem Menschen das Herz gewesen wäre. Immer noch keine Schmerzen. Als ich den Arm zum dritten Mal hob, wurde ich aus ihrem Körper geschleudert.
Überall im Raum tobten Geister herum und brachten die Kerzen zum Erlöschen. Nun versank die Gildehalle endgültig im Chaos. Obwohl meine Sicht wieder klar war, konnte ich nichts erkennen. In meinen Ohren hallten Schreie.
Die Kerzen brannten wieder. Nashira lag reglos auf der Bühne. Das Messer steckte bis zum Anschlag in ihrer Brust. »Blutsherrscherin«, rief ein Reph.
Die Abgesandten waren still geworden. Meine Hände zitterten, als ich zu der Stelle kroch, wo Nashira lag. Ich schaute in ihr Gesicht, in die Augen, aus denen das Licht gewichen war. Die Geister der XVIII . Knochenernte schwebten immer noch um sie herum, als würden sie nur darauf warten, dass sie zu ihnen in den Æther käme.
Dann flackerte in ihren Augen ein schwacher Funke auf. Ganz langsam drehte sie den Kopf. Als sie aufstand und in voller Größe vor mir aufragte, begann ich unkontrolliert zu zittern.
»Sehr clever«, sagte sie. »Sehr, sehr clever.«
Ich wich so hastig zurück, dass ich mir die Finger an den Bodenbrettern aufschürfte. Dann musste ich mit ansehen, wie sie sich das Messer aus der Brust zog. Das Publikum keuchte. »Zeig uns doch noch mehr.« Leuchtende Tropfen fielen wie Tränen herab. »Ich habe nichts dagegen.«
Mit einer lässigen Geste schleuderte sie das Messer fort. Einen Moment lang hing es wie an einem unsichtbaren Faden in der Luft … Dann flog es direkt auf mich zu. Es streifte meine Wange und hinterließ einen brennenden Schnitt. Die Kerzen flackerten.
Einer ihrer Engel war ein Poltergeist. Es war zwar äußerst selten, dass sie stoffliche Dinge berühren konnten, aber so etwas hatte ich schon erlebt. Apport nannte Jaxon das: Geister, die Dinge bewegten. Mir brach der kalte Schweiß aus. Ich sollte mich nicht so fürchten. Immerhin war ich schon einmal einem Poltergeist begegnet. Und nun war mein Geist gereift, ich konnte mich verteidigen.
»Wenn du darauf bestehst«, erwiderte ich.
Diesmal war sie vorbereitet und errichtete sämtliche Bollwerke, die ihre Traumlandschaft aufbieten konnte. Es war, als würden zwei riesige Tore vor meiner Nase zugeschlagen, und ich wurde sofort in meinen Körper zurückkatapultiert. Mein Herz raste. Der stechende Druck, der meinen Schädel wie einen Helm einzwängte, nahm zu. Ich hörte eine vertraute Stimme, doch sie ging in dem anhaltenden, schrillen Pfeifen in meinen Ohren unter.
Weg hier. Ich musste weg hier. Sie würde nicht aufhören. Sie würde niemals aufhören, meinen Geist zu jagen. Kraftlos stemmte ich mich auf die Ellbogen hoch und suchte nach dem Messer. Ihr Körper schob sich in mein Blickfeld, sie bewegte sich auf mich zu.
»Du siehst müde aus, Paige. Gib auf. Der Æther ruft bereits nach dir.«
»Muss mir entgangen sein«, presste ich hervor.
Auf das, was dann kam, war ich nicht vorbereitet. Alle fünf Engel verbanden sich miteinander und stürzten sich auf mich.
Wie eine schwarze Woge durchbrachen sie meine Abwehr. In der Außenwelt knallte mein Kopf auf die
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