The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
der, den ich mir genauer angesehen hatte – blieb bei Nashira stehen. Da ich mich nicht traute, zu Julian hinüberzusehen, flüsterte ich nur: »Das kann doch alles nicht wahr sein.«
»Sieh sie dir an.« Seine Lippen bewegten sich kaum. Ich konnte ihn nur verstehen, weil wir so dicht beieinanderstanden. »Das sind keine Menschen. Die kommen von irgendwo anders.«
»Du meinst diese ›Unterwelt‹?« Als ein Rephait vorbeiging, verstummte ich hastig, dann fuhr ich fort: »Die einzige andere Dimension ist der Æther. Mehr gibt es nicht.«
»Der Æther existiert parallel zu unserer Welt – um uns herum, nicht außerhalb. Das hier ist etwas anderes.«
In mir stieg ein hysterisches Lachen auf. »Scion ist völlig durchgedreht.«
Julian antwortete nicht. Auf der anderen Seite des Raums packte ein Rephait Carl am Ellbogen. » XX -59–1«, sagte er, »ich erhebe Anspruch auf dich.« Carl schluckte schwer, als er zu einer Säule geführt wurde, setzte aber eine tapfere Miene auf. Sobald er ihn abgestellt hatte, kehrte der Rephait auf seinen Rundgang zurück. Sie benahmen sich wie Straßenräuber, die abschätzten, ob man eine lohnenswerte Beute war.
Nach welchen Kriterien sie uns wohl aussuchten? War es schlecht für Carl, dass er so schnell ausgewählt worden war?
Mehrere Minuten vergingen und die Reihen lichteten sich. Die Flüsterin, jetzt XX -59–2, wurde zu Carl gestellt. Das Orakel ging an Pleione, schien an dem ganzen Prozedere aber völlig desinteressiert zu sein. Ein Mann mit grausamen Gesichtszügen schleppte die Handleserin zu seiner Säule. Sie fing an zu weinen und schluchzte immer wieder »Bitte, bitte!«, jedoch ohne Erfolg. Bald wurde auch Julian geholt – XX -59–26. Er sah mich kurz an, nickte mir zu und ging dann mit seinem Hüter zu dessen Säule.
Zwölf weitere Namen wurden zu Nummern, es ging rauf bis 38. Schließlich waren wir nur noch zu acht: die sechs Amaurotiker, ein Medium und ich.
Irgendjemand musste mich doch wählen. Einige der Rephaim hatten mich genauer untersucht, vor allem meinen Körper und meine Augen, aber niemand hatte Anspruch auf mich erhoben. Was würde passieren, wenn ich nicht ausgewählt wurde?
Das Medium, ein kleiner Junge mit Flechtzöpfchen, wurde von Pleione abgeführt: – 39. Jetzt war ich der einzige verbliebene Seher.
Die Rephaim drehten sich geschlossen zu Nashira um. Die prüfte, wer von uns noch übrig war. Ich fühlte mich so angespannt, als hätte ich einen Stock verschluckt.
Dann trat der Mann vor, der mich am Anfang beobachtet hatte. Er sagte nichts, lehnte sich aber zu Nashira und deutete mit dem Kopf auf mich. Kurz streifte ihr Blick mein Gesicht. Dann hob sie die Hand und winkte mich mit einem schlanken Finger zu sich heran. Genau wie Pleione trug sie schwarze Handschuhe. Ebenso all ihre Gefährten.
Seb war immer noch bewusstlos. Ich wollte ihn sanft zu Boden gleiten lassen, aber er hatte sich festgekrallt. Als er meine Not erkannte, nahm einer der amaurotischen Männer ihn mir ab.
Alle Augen waren auf mich gerichtet, als ich langsam über die Marmorplatten ging und vor den beiden Rephaim stehen blieb. Aus der Nähe wirkte Nashira noch viel größer, und der Mann überragte mich um mindestens dreißig Zentimeter.
»Dein Name?«
»Paige Mahoney.«
»Woher stammst du?«
»Parzelle I.«
»Nicht gebürtig.«
Sie mussten sich meine Akte angesehen haben. »Irland«, korrigierte ich mich. Ein leiser Schauder schien durch den Raum zu laufen.
»Scion Belfast?«
»Nein, aus dem freien Teil von Irland.« Hinter mir keuchte jemand.
»Verstehe. Ein Freigeist also.« Nashiras Augen schienen eigenes Licht abzustrahlen. »Deine Aura ist faszinierend. Sag mir: Was bist du?«
»Ein Rätsel.«
Ihr Blick ließ mich schaudern.
»Ich habe gute Neuigkeiten für dich, Paige Mahoney.« Nashira legte ihrem Begleiter eine Hand auf den Arm. »Du hast die Aufmerksamkeit des Blutsgefährten erregt: Arcturus, Wächter der Mesarthim. Er hat sich entschlossen, dein Hüter zu sein.«
Die Rephaim tauschten hastige Blicke. Keiner von ihnen sagte etwas, aber ihre Auren gerieten in Bewegung.
»Es ist äußerst selten, dass er Interesse an einem Menschen entwickelt«, erklärte Nashira so leise, als würde sie mich in ein streng gehütetes Geheimnis einweihen. »Du hast wirklich außerordentlich großes Glück.«
Mir kam es allerdings nicht so vor. Mir war eher übel.
Der Blutsgefährte beugte sich vor, bis er sich mit mir auf Augenhöhe befand. Was eine ganz
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