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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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Gummiband schnellte er zurück in meinen Körper. Der heftige Aufprall riss mich von den Füßen, sodass ich mit dem Kopf auf den Boden knallte.
    Es dauerte etwas, bis ich die Gaslaternen wieder klar sehen konnte. Vorsichtig stemmte ich mich auf die Ellbogen hoch, hinter meinen Schläfen pochte ein stechender Schmerz. Der Wächter stand immer noch aufrecht. Im Gegensatz zu Aludra hatte ich ihn nicht in die Knie gezwungen, aber offenbar hatte ich seine Wahrnehmung beeinflussen können, denn er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und schüttelte den Kopf.
    »Gut«, nickte er. »Sehr gut.«
    Mit zitternden Knien stand ich auf.
    »Du versuchst, mich wütend zu machen«, stellte ich fest. »Warum?«
    »Anscheinend funktioniert es.« Er zeigte auf das Messer. »Noch einmal.«
    Entsetzt sah ich zu ihm hoch. Ich war noch nicht einmal wieder zu Atem gekommen. »Noch einmal?«
    »Das kannst du besser. Du hast kaum an meine Abwehrmechanismen gerührt. Ich möchte, dass du ihnen einen Schlag verpasst.«
    »Ich schaffe das nicht noch mal.« Vor meinen Augen tanzten schwarze Flecken. »So funktioniert das nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich dabei aufhöre zu atmen.«
    »Warst du denn noch nie schwimmen?«
    »Wie bitte?«
    »Ein durchschnittlicher Mensch kann mindestens dreißig Sekunden lang die Luft anhalten, ohne bleibende Schäden davonzutragen. Das ist mehr als genug Zeit, um ein fremdes Bewusstsein anzugreifen und anschließend in deinen Körper zurückzukehren.«
    So hatte ich das noch nie gesehen. Nick hatte immer dafür gesorgt, dass ich künstlich am Leben erhalten wurde, wenn ich tiefer in den Æther vorgedrungen war.
    »Stell dir vor, dein Geist wäre ein Muskel, der sich von seinem angestammten Platz wegbewegen kann«, fuhr der Wächter fort. »Je mehr du ihn benutzt, desto stärker und schneller wird er, und desto besser wird dein Körper mit den Nachwirkungen zurechtkommen. Du wirst dazu in der Lage sein, blitzschnell zwischen Traumlandschaften hin und her zu springen – und zwar noch bevor dein Körper auf dem Boden aufschlägt.«
    »Du hast doch keine Ahnung«, erwiderte ich trotzig.
    »Du aber auch nicht. Ich nehme an, bei dem Vorfall in der Bahn hast du zum ersten Mal eine fremde Traumlandschaft betreten.« Das Messer lag reglos in seiner Hand. »Dring in meine ein. Hiermit fordere ich dich heraus.«
    Zweifelnd sah ich an. Er lud mich tatsächlich ein, in sein Bewusstsein einzudringen und seinem Verstand ernsten Schaden zuzufügen.
    »Dir kann das doch egal sein, du bist nur mein Ausbilder«, winkte ich ab. Wir fingen an, uns langsam zu umkreisen. »Nashira hat dich gebeten, mich auszuwählen. Ich weiß genau, was sie will.«
    »Nein, ich habe dich erwählt. Ich habe deine Ausbildung zu meiner Aufgabe gemacht. Und ich will ganz sicher nicht«, er machte einen Schritt in meine Richtung, »dass du mich mit deiner Inkompetenz blamierst.« Er warf mir einen harten Blick zu. »Greif mich an, und diesmal mach es richtig.«
    »Nein.« Ich würde es darauf ankommen lassen. Sollte er sich doch blamieren. Sollte er sich so für mich schämen wie mein Vater. »Ich werde mich bestimmt nicht umbringen, nur damit du von Nashira ein Fleißbildchen bekommst.«
    »Du willst mich doch verletzen«, sagte er sanft. »Du verabscheust mich. Du hasst mich.« Demonstrativ hob er das Messer. »Vernichte mich.«
    Im ersten Moment reagierte ich nicht. Dann musste ich daran denken, wie ich stundenlang seine Wunden verarztet und er mich später deswegen bedroht hatte. Wie er tatenlos zugesehen hatte, als Seb gestorben war. Mit voller Kraft schleuderte ich ihm meinen Geist entgegen.
    Während der restlichen Zeit, die wir auf dem Gelände verbrachten, gelang es mir kaum, seine Traumlandschaft auch nur anzukratzen. Selbst als er fast alle Abwehrschilde senkte, kam ich nicht weiter als bis zu seiner Hadopelagialzone. Sein Bewusstsein war einfach zu stark. Und während der ganzen Zeit provozierte er mich. Sagte mir, ich wäre schwach, erbärmlich, eine Schande für alle Seher. Dass Menschen eben doch zu nichts anderem taugten als für die Sklaverei. Ob ich wie ein Tier in einem Käfig leben wolle? Das könne er gerne einrichten. Anfangs bewirkten diese Sticheleien noch etwas, aber je weiter die Nacht fortschritt, umso weniger trafen mich seine Beleidigungen. Am Ende waren sie nur noch frustrierend und reichten nicht einmal mehr aus, um meinen Geist aus dem Körper zu locken.
    Da warf er das Messer nach mir. Er zielte sorgfältig, damit ich

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