The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
abgesehen von Duckett habe es nur zwei Überlebende gegeben: den Verräter und das Kind.«
»Das Kind?«
»Duckett hat mir das alles erzählt. Er wurde verschont, weil er zu sehr Gelbjacke war, um zu rebellieren. Auf Knien hat er sie angefleht, ihm nichts anzutun. Und er sagte, in jenem Jahr wurde ein Kind hierher gebracht, vier oder fünf Jahre alt: XVIII -39–0.«
»Warum zum Teufel sollten sie ein Kind herbringen?« In meinem Magen bildete sich ein eisiger Klumpen. »Kinder können nicht gegen die Summer kämpfen.«
»Keine Ahnung. Er glaubt, sie wollten nur sehen, ob sie überlebt.«
»Wie sollte sie denn? Keine Vierjährige könnte in diesem Slum hier leben.«
»Ganz genau.«
Der Klumpen bohrte sich in meine Eingeweide. »Sie ist gestorben.«
»Duckett schwört, dass sie nie gefunden wurde. Er musste hinterher die Leichen wegschaffen«, fügte David hinzu. »Das war Teil des Deals, damit er weiterleben durfte. Und er behauptet, er habe das kleine Mädchen nicht gesehen, aber das hier sagt etwas anderes.«
Er richtete den Strahl der Lampe auf eine der Gaben: ein verdreckter Teddybär mit aufgenähten Knopfaugen. Um seinen Hals war ein Zettel gebunden. Ich hielt ihn ins Licht.
*
XVIII -39–0
Kein Leben ist verloren.
*
Die Stille wurde von einem weit entfernten Läuten unterbrochen. Behutsam legte ich den Bären zurück zu den Blumen.
»Wer hat das alles gemacht?« Meine Stimme klang gequält. »Wer hat diesen Schrein errichtet?«
»Die Clowns. Und die Gezeichneten – die mysteriösen Rephs, die sich gegen Nashira erhoben haben.«
»Sie leben noch?«
»Das weiß niemand so genau, aber ich glaube nicht daran. Warum sollte Nashira sie in ihrer Stadt herumlaufen lassen, wo sie doch genau weiß, dass sie Verräter sind?«
Meine Finger zitterten. Schnell versteckte ich sie in meinem Ärmel.
»Ich habe genug gesehen«, sagte ich.
*
David begleitete mich zurück nach Magdalen. Bis zum Sonnenaufgang blieben zwar noch ein paar Stunden, aber ich wollte niemanden mehr sehen. Nicht heute.
Als der Turm in Sicht kam, drehte ich mich zu David um. »Ich weiß zwar nicht, warum du mir das alles gesagt hast, aber danke.«
»Wofür?«
»Dafür, dass du mir den Schrein gezeigt hast.«
»Gern geschehen.« Sein Gesicht lag im Schatten. »Ich gewähre dir noch eine letzte Frage, allerdings nur, wenn ich sie in unter einer Minute beantworten kann.«
Ich dachte kurz nach. Da gab es noch so vieles, aber eine Sache hatte mich nun schon seit Tagen beschäftigt.
»Warum nennt man es die Knochenernte?«
David lächelte.
»Keine Ahnung, ob du das weißt, aber das englische Wort für Knochen, bone , hatte früher noch eine andere Bedeutung, nämlich ›gut‹ oder auch ›blühend‹. Das kam vom französischen Begriff bonne . Hin und wieder hört man es noch. So haben sie es eigentlich genannt: Gute Ernte, Zeit der Erwartung. Für sie ist es der Moment, wenn sie ihre Belohnung einfahren, die profitable Seite ihres Handels mit Scion. Die Menschen sehen das natürlich anders, sie haben die Bedeutung ›Knochen‹ vorgezogen, was sie an Hunger und Tod erinnert. Deswegen nennen sie uns auch die Knochensammler. Weil wir die Leute in den Tod führen.«
Inzwischen hatte die Kälte meinen gesamten Körper erfasst. Ein Teil von mir wäre bis gerade eben noch gerne hier draußen geblieben. Aber jetzt wollte ich nur noch weg.
»Woher weißt du das alles?«, fragte ich. »Die Rephs werden es dir wohl kaum erzählt haben.«
»Tut mir leid, aber du hast keine Fragen mehr übrig. Ich habe sowieso schon zu viel gesagt.«
»Vielleicht lügst du ja.«
»Das tue ich nicht.«
»Ich könnte den Rephs von dir berichten.« So schnell würde ich mich nicht unterkriegen lassen. »Und ihnen verraten, was du alles weißt.«
»Dann würdest du ihnen aber auch verraten, was du weißt.« Sein Grinsen zeigte deutlich, dass ich auf verlorenem Posten stand. »Für diese Informationen schuldest du mir einen Gefallen. Es sei denn, du willst dich jetzt gleich revanchieren.«
»Und wie?«
Ich bekam meine Antwort, als er mein Gesicht berührte und eine Hand an meine Hüfte legte. Sofort verkrampfte ich mich.
»Das nicht«, wehrte ich ab.
»Komm schon.« Er strich über meinen Bauch und drückte sich dichter an mich heran. »Versetzt du etwa deine Pille?«
»Du willst also eine Bezahlung haben, ja?« Ich versetzte ihm einen heftigen Stoß. »Verpiss dich, Rotjacke.«
David sah mich unverwandt an.
»Dann tu mir einen Gefallen«, sagte er.
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