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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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»Das hier habe ich in Merton gefunden. Sieh mal, ob du irgendetwas darüber in Erfahrung bringen kannst. Du bist cleverer, als ich gedacht hätte.« Er drückte mir einen Briefumschlag in die Hand. »Träum süß, 40.«
    Damit ging er. Ich blieb einen Moment stehen, steif und durchgefroren, dann lehnte ich mich gegen die Mauer. Ich hätte nicht mit ihm an diesen Ort gehen sollen. Mit einem Fremden durch dunkle Gassen schleichen, was hatte ich mir nur dabei gedacht? Wo waren meine Instinkte geblieben?
    Für eine Nacht hatte ich zu viel erfahren. Liss hatte nie erwähnt, dass Rephs – ausgerechnet Rephs – mit für den Aufstand während der XVIII . Knochenernte verantwortlich gewesen waren. Vielleicht wusste sie es gar nicht.
    Die Gezeichneten . Nach denen sollte ich Ausschau halten, nach jenen suchen, die uns geholfen hatten. Oder vielleicht sollte ich einfach den Kopf einziehen und mich mit meinem neuen Leben arrangieren. Das war sicher. Und leicht.
    Ich wollte zu Nick, und zu Jax. Ich wollte mein altes Leben zurück haben. Ja, ich war eine Kriminelle gewesen, aber ich hatte auch echte Freunde gehabt. Ich hatte entschieden, bei ihnen zu sein. Meine Stellung als Ganovenbraut hatte mich vor Leuten wie David beschützt. In meinem Revier hatte niemand es gewagt, mich anzurühren.
    Aber das hier war nicht mein Revier. Hier hatte ich keinerlei Macht. Zum ersten Mal sehnte ich mich nach dem Schutz, den mir die dicken Mauern von Magdalen boten. Ich sehnte mich nach der Sicherheit, die durch die Anwesenheit des Wächters garantiert wurde, auch wenn ich sie gleichzeitig hasste. Schnell steckte ich den Umschlag ein und ging zum Tor.
    Als ich den Founder’s Tower betrat, rechnete ich damit, einen leeren Raum vorzufinden. Stattdessen fand ich Blut. Rephaimblut.

Kapitel Zwölf
    F IEBER
    Es herrschte das totale Chaos: zertrümmerte Scheiben, kaputte Instrumente, ein Vorhang war halb von der Stange gerissen und auf den Fliesen überall diese grünlichen Flecken, vom Teppich waren sie schon halb aufgesogen worden. Vorsichtig stieg ich über die Scherben hinweg. Die Kerze auf dem Schreibtisch und die Petroleumlampen waren ausgeblasen worden. Es war eiskalt im Zimmer. Überall spürte ich den Æther. Wachsam schärfte ich meine Sinne, jederzeit bereit, einem möglichen Angreifer meinen Geist entgegenzuschleudern.
    Die Bettvorhänge waren zugezogen. Dahinter spürte ich eine Traumlandschaft. Ein Reph , dachte ich.
    Langsam näherte ich mich dem Bett, und sobald ich in Reichweite der Vorhänge war, versuchte ich mir ganz sachlich vor Augen zu halten, was ich da vorhatte. Ich wusste, dass der Wächter hinter ihnen lag, aber ich hatte keine Ahnung, in welchem Zustand er sich befand. Er konnte verletzt sein, schlafen, tot sein. Ich war mir nicht sicher, ob ich es wissen wollte.
    Ich riss mich zusammen und dehnte nervös meine Finger, bevor sie nach dem Stoff griffen. Dann zog ich den Vorhang beiseite.
    Er lag zusammengesunken auf dem Bett, reglos wie ein Toter. Hastig kletterte ich auf die Matratze und schüttelte ihn. »Wächter?«
    Nichts.
    Ich ließ mich auf die Fersen sinken. Er hatte mir ausdrücklich verboten, ihn anzufassen, und mir eingeschärft, dass ich ihm nicht helfen solle, falls so etwas passierte. Aber diesmal sah er viel, viel schlimmer aus als beim ersten Vorfall: Sein Hemd war blutdurchtränkt. Ich versuchte, ihn herumzudrehen, aber sein schlaffer Körper war einfach zu schwer. Als ich seine Atmung überprüfte, schoss sein Arm vor und packte mein Handgelenk.
    »Du«, presste er angestrengt hervor. Seine Stimme war rau. »Was machst du hier?«
    »Ich wollte … «
    »Wer hat gesehen, wie du gekommen bist?«
    Vorsichtshalber blieb ich ganz still sitzen. »Der Nachtportier.«
    »Sonst noch jemand?«
    »Nein.«
    Der Wächter stemmte sich auf einen Ellbogen hoch. Seine Hand – noch immer in Leder gehüllt – wanderte an die Schulter. »Da du schon einmal hier bist«, fuhr er fort, »kannst du auch bleiben und mir beim Sterben zusehen. Das wird dir sicher gefallen.«
    Er zitterte am ganzen Körper. Ich wollte etwas Patziges erwidern, aber heraus kam: »Was ist mit dir passiert?«
    Er antwortete nicht. Ganz langsam streckte ich die Hand nach seinem Hemd aus. Sofort verstärkte er den Druck um mein Handgelenk. »Du musst Luft an die Wunden lassen«, sagte ich.
    »Das ist mir bewusst.«
    »Dann tu es auch.«
    »Wage es nicht , mir Vorschriften zu machen. Auch wenn ich sterbe, bin ich dir noch lange keinen Gehorsam schuldig.

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