The Carrie Diaries - Carries Leben vor Sex and the City - Band 1
Art.
»Und ihr beide wart also gestern im Emerald«, sage ich.
»Ja.«
»Hat er da irgendwas erwähnt? Von einem anderen Mädchen, meine ich?«
»Nein.« Sie zupft eine Haarsträhne an ihrem Hinterkopf zurecht.
»Wie lange seid ihr denn dort gewesen?«
»Keine Ahnung. Wir haben was getrunken. Er hatte keine Lust, zu Hause rumzuhocken, und ich auch nicht, also …«
»Cool.« Ich nicke. Und will eigentlich noch mehr wissen. Welche Musik lief, was sie getrunken und ob sie getanzt haben – ich will jedes noch so kleine Detail aus ihr herausquetschen, in ihr Gehirn kriechen und herausfinden, was wirklich passiert ist. Aber ich bringe kein Wort über die Lippen. Was ist, wenn ich mit dem, was ich erfahren würde, nicht klarkäme?
Als wir wieder an die Bar kommen, ist Mouse in ein Gespräch mit Sebastian vertieft. »Worüber redet ihr?«, frage ich.
»Über dich.« Sebastian dreht sich mit ungewöhnlich ernster Miene zu mir um.
»Über mich?« Ich lache unsicher.
»Ja, darüber, wie hart das alles für dich sein muss«, sagt er.
Nicht das schon wieder. »Ach, so schlimm ist das alles gar nicht«, winke ich ab. Ich trinke mein Bier aus und bestelle gleich das nächste. Und dann noch einen Wodka.
»Gute Idee«, sagt Sebastian und ordert für sich und die anderen beiden auch einen.
Die Aussicht auf Hochprozentiges lockert die Stimmung. Wir heben unsere Gläser und trinken auf das neue Jahr, auf den vor uns liegenden Sommer und auf unsere Zukunft. Sebastian zündet sich eine Zigarette an und legt den Arm um mich, während Mouse sich mit Lali unterhält. Ich beuge mich zu seiner Hand vor, nehme einen Zug von seiner Zigarette und frage leise: »Stimmt irgendwas nicht?«
»Was soll denn nicht stimmen?«, fragt er mit leicht aggressivem Unterton, dreht den Kopf weg und zieht selbst an der Zigarette.
»Ich weiß nicht. Du bist irgendwie komisch.«
»Also wenn hier jemand komisch ist, dann ja wohl du.«
»Ich?«
»Ja, du.« Er sieht mich mit hochgezogenen Brauen an.
Ich rudere zurück. »Kann schon sein. Die ganze Sache mit Dorrit …«
»Mhmm.« Er schaut weg und drückt die Zigarette aus.
»Egal. Davon werde ich mir bestimmt nicht den Abend versauen lassen. Ich bin hier, um Spaß zu haben!« Ich ziehe ihn auf die Tanzfläche.
Und dann habe ich tatsächlich jede Menge Spaß. Zu viel Spaß. Die Band kommt auf die Bühne und wir singen lauthals jeden einzelnen Song mit. Der Alkohol wirkt und auf einmal ist mir alles egal. Ich lege meine Stola ab und lasse die Nerzköpfe Bier trinken, woraufhin die Leute, die um uns herumstehen, anfangen zu johlen und den Nerzen auch ihre Gläser hinhalten. Irgendwann ist es neun Uhr durch – Pause im Theater –, und ich merke es noch nicht einmal, bis es zu spät ist, um meinen Vater noch anzurufen.
Um Viertel nach zehn tippt Mouse auf ihre Uhr. »Wir müssen los, Braddie.«
»Ich will aber noch nicht gehen.«
»Noch zwei Songs«, sagt sie streng. »Dann sind wir hier raus.«
»Okay.« Ich stelle mein Bier auf der Theke ab und schiebe mich durch die Menge bis zur Bühne vor, wo ich mich selbstvergessen im Rhythmus der Musik wiege. Irgendwann falle ich dem Sänger auf, der mir lächelnd zuzwinkert. Er ist süß. Sehr süß sogar. Mit seinen fast femininen Gesichtszügen und den gelockten Haaren würde er gut in ein Gemälde aus der Renaissancezeit passen. Lali schwärmt für ihn, seit wir vierzehn waren. Jedes Mal, wenn wir eine Platte von Aztec Two-Step spielten,
betrachtete sie sehnsüchtig sein Bild auf dem Cover. Als der Song zu Ende ist, beugt er sich zu mir runter und fragt mich, was ich als Nächstes hören möchte. »My Cosmos Lady!«, rufe ich.
Der Gitarrist spielt die ersten Takte, und dann beginnt der Sänger zu singen und sieht mich dabei die ganze Zeit an, während die Musik immer lauter und mitreißender wird und mich wie eine warme, flauschige Heliumwolke einhüllt. Und dann sind da nur noch die Musik und der Sänger und seine vollen, weichen Lippen, und ich fühle mich wieder wie in dem Klub in Provincetown mit Walt und Randy – ausgelassen und frei. Nur zuzuhören reicht mir auf einmal nicht mehr, ich will mitmachen, ich will … mitsingen.
Auf der Bühne. Vor allen Leuten.
Und als hätte er meine Gedanken gelesen, streckt mir der Sänger plötzlich seine Hand entgegen. Ich greife danach und er zieht mich auf die Bühne und im nächsten Augenblick stehe ich neben ihm am Mikro und singe mir die Seele aus dem Leib, und bevor ich überhaupt realisiert
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