The Carrie Diaries - Carries Leben vor Sex and the City - Band 1
als Mouse mich bei mir absetzt. Drinnen gehe ich sofort zum Fernsehzimmer und bleibe in der Tür stehen. Mein Vater sitzt auf der Couch und liest. Er sieht auf, klappt die Zeitschrift zu und legt sie behutsam auf den Couchtisch.
»Ich bin froh, dass du zu Hause bist«, sagt er.
»Ich auch.« Und ich bin ihm dankbar, dass er mir keine Standpauke hält, weil ich um neun nicht angerufen habe.
»Wie war die Aufführung?«
»Schön.« Vor meinem inneren Auge taucht plötzlich ein Kartenhaus auf. Auf jeder Karte stehen die Worte »Was wäre wenn?« und dann bricht es schlagartig zusammen und verbrennt zu einem Häufchen Asche.
Was wäre, wenn Dorrit nicht abgehauen wäre? Was wäre,
wenn Sebastian und ich uns gestern Abend gesehen hätten? Was wäre, wenn ich mich nicht auf die Bühne gestellt hätte?
Was wäre, wenn ich Sebastian gegeben hätte, was er wollte? Was, wenn ich mit ihm geschlafen hätte?
»Gute Nacht, Dad.«
»Gute Nacht, Carrie.«
Das Mädchen, das …
Ein Sarg. Nur dass es in Wirklichkeit gar kein Sarg ist, sondern ein Boot. Ein Boot, das jeden Moment ablegen wird. Ich muss unbedingt auf dieses Boot kommen, aber die Leute versperren mir den Weg. Ich schafe es nicht, mich an ihnen vorbeizudrängen, und jetzt erkenne ich, dass eine von ihnen Mary Gordon Howard ist. Sie packt mich am Ärmel und zieht mich zurück.
»Darüber wirst du niemals hinwegkommen«, zischt sie verächtlich. »Du wirst für den Rest deines Lebens gezeichnet sein. Kein Mann wird dich je lieben …«
Nein. Neeeeeiiin.
Wache auf. Fühle mich grauenhaft. Erinnere mich, dass gestern Abend etwas Schlimmes passiert ist.
Erinnere mich, was passiert ist.
Weigere mich zu glauben, dass es wahr ist.
Weiß, dass es wahr ist.
Und jetzt? Soll ich mich meiner Verletztheit hingeben und Lali und Sebastian am Telefon eine Szene machen? Oder wie in dem Film »Carrie« einen Eimer Schweineblut über den beiden
auskippen (aber wo sollte ich das Schweineblut herbekommen? Und außerdem … igitt!), eine schwere Krankheit vortäuschen, einen Selbstmordversuch unternehmen (dann würde es ihnen leidtun, aber vielleicht wären sie auch froh, dass ich endlich weg bin, und warum sollte ich ihnen diese Freude machen?) oder einfach so tun, als wäre nichts passiert? Als wären Sebastian und ich immer noch ein glückliches Liebespaar und die Sache mit Lali nur ein kleiner, völlig unbedeutender Ausrutscher?
Fünf Minuten vergehen. Mir schießen die merkwürdigsten Gedanken durch den Kopf. Wie zum Beispiel: Im Prinzip gibt es nur vier Typen von Mädchen.
Das Mädchen, das mit dem Feuer spielt.
Das Mädchen, das die Büchse der Pandora öfnet.
Das Mädchen, das Adam den Apfel reicht.
Und das Mädchen, dessen beste Freundin ihr den Freund ausspannt.
Nein, nein, nein. Er kann sie unmöglich mehr lieben als mich. Ausgeschlossen. Aber ofensichtlich kann er es doch.
Warum nur? Schlage mit den Fäusten auf die Matratze ein, versuche, mein Flanellschlafanzugoberteil zu zerreißen (von dem ich nicht einmal weiß, wann ich es angezogen haben soll) und brülle ins Kissen. Stehe unter Schock und werfe mich rücklings aufs Bett. Starre an die Decke, während ein grauenhafter Gedanke in mir aufsteigt.
Was, wenn ich für immer allein bleibe? Wenn ich dazu verdammt bin, für den Rest meines Lebens Jungfrau zu bleiben?
Krieche aus dem Bett, schleppe mich in den Flur zum Telefon. »Du sieht aber ganz schön scheiße aus«, sagt Dorrit.
Fauche: »Lass mich bloß in Ruhe!«, drücke mir das Telefon
an die Brust und husche damit in mein Zimmer zurück wie ein Eichhörnchen mit Beute in sein sicheres Nest.
Schließe sorgfältig die Tür. Wähle mit zitternden Fingern Lalis Nummer.
»Hallo? Kann ich bitte mit Lali sprechen?«
»Carrie?«
Ich habe ihre Stimme gar nicht erkannt. Sie klingt ein bisschen nervös, aber längst nicht so zerknirscht, wie ich es mir erhofft hatte. Kein gutes Zeichen.
»Bitte sag mir, dass ich das, was gestern Abend passiert ist, nur geträumt habe.«
»… nein, es ist wirklich passiert.«
»Warum?«
»Warum?«
»Wie konntest du mir das antun?« Verzweifelter Schrei.
Schweigen. Dann: »Ich wollte nicht, dass du es so erfährst …« Stille, während ich in emotionalem Treibsand versinke. Gleich werde ich tot sein. »… aber Sebastian und ich sind jetzt fest zusammen.« Ganz schlicht. Ganz sachlich. Nicht widerlegbar. »Wir trefen uns schon seit einer Weile«, fügt sie noch hinzu.
Ich wusste es. Ich wusste, dass zwischen den
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