The Carrie Diaries - Carries Leben vor Sex and the City - Band 1
hier?«
Er zieht den Rauch tief in die Lungen. »Wegen meinem Vater. Er hat rausgefunden, dass ich schwul bin. Tja«, fügt er hinzu, als er meinen erschrockenen Gesichtsausdruck sieht. »Mein Bruderherz hat mein Tagebuch gelesen …«
»Du schreibst Tagebuch?«
»Warum denn nicht?«, sagt er stirnrunzelnd. »Okay, eigentlich ist es eher eine Art Notizbuch, in das ich Ideen für Architekturprojekte kritzle, Fotos von interessanten Gebäuden klebe, die ich aus Zeitschriften rausgerissen habe, und eigene kleine Entwürfe zeichne. Aber ich bewahre darin eben auch ein paar persönliche Dinge auf – Polaroids von mir und Randy zum Beispiel. Als mein Bruder sie gefunden hat, hat er eins und eins zusammengezählt und sich eingebildet, meine Eltern informieren zu müssen.«
»Scheiße.«
»Das kannst du laut sagen.« Walt drückt die Zigarette aus und zündet sich sofort die nächste an. »Meine Mutter ist ganz entspannt geblieben. Klar, einer ihrer Brüder ist selbst schwul – obwohl in der Familie natürlich nie offen darüber gesprochen wird. Offiziell ist er ›eingefleischter Junggeselle‹. Aber mein Vater ist total ausgeflippt. So ein scheinheiliges Arschloch. Hält sich für einen Vorzeigechristen, dabei ist von Nächstenliebe und Toleranz bei ihm nicht das Geringste zu spüren. In seinen Augen ist Schwulsein so eine Art Todsünde. Wenigstens muss ich jetzt nicht mehr jeden Sonntag mit der Familie in die Kirche gehen. Aber er hat mich nicht nur vom Gottesdienst verbannt, sondern mir auch verboten, weiter im Haus zu schlafen, weil er Angst hat, ich könnte auch noch meine Brüder infizieren.«
»Aber das ist doch lächerlich!«
Walt zuckt mit den Schultern. »Es hätte schlimmer kommen können. Immerhin darf ich noch in die Küche und ins Bad.«
»Wieso hast du mir denn nichts davon erzählt?«, frage ich.
»Ach, du hast doch gerade genügend eigenen Mist am Hals.«
»Schon, aber das heißt nicht, dass ich mich deswegen nicht für die Probleme meiner Freunde interessiere.«
»Hey, in Zeiten der Not ist sich jeder selbst der Nächste.«
»Bin ich wirklich so eine miese Freundin?«
»Nicht mies«, sagt er. »Nur mit deinen eigenen Dramen beschäftigt. «
Ich schlinge die Arme um die Knie und starre nachdenklich auf die Zeltplane. »Oh Mann, Walt, das tut mir so leid. Ich hatte ja keine Ahnung, was bei dir los ist. Du kannst gerne bei uns wohnen, bis dein Vater sich wieder beruhigt hat. Er kann ja nicht ewig sauer auf dich sein.«
»Du kennst meinen Vater nicht.« Walt lächelt bitter. »Für ihn bin ich eine Ausgeburt des Teufels und nicht länger sein Sohn.«
»Warum ziehst du dann nicht ganz aus?«
»Wohin denn?«, schnaubt er. »Und was würde das bringen? Er hat schon angekündigt, dass er mir keinen einzigen Dollar fürs Studium dazugeben wird, weil er nicht einsieht, für das Luxusleben einer Schwuchtel aufzukommen, die sein Geld nur für teure Klamotten und Champagnerorgien verprasst. Aber zum Glück verdiene ich mein eigenes Geld und davon muss ich ab jetzt jeden Cent beiseite legen. Ich werde wohl hier in dem Zelt wohnen bleiben, bis ich im September an der Rhode Island School of Design anfange.« Er lehnt sich gegen eines der klammen Kissen. »So schlimm ist es nicht. Ehrlich nicht. Irgendwie fühle ich mich sogar ganz wohl hier.«
»Aber ich fühle mich alles andere als wohl, wenn ich mir vorstelle, dass du jetzt monatelang in diesem Zelt hausen willst. Hör zu, ich rede mit meinem Vater. Du kannst mein Zimmer haben und ich schlafe solange bei einer meiner Schwestern …«
»Ich bin kein Sozialfall, Carrie.«
»Aber was ist mit deiner Mutter? Sie muss doch …«
»Meine Mutter hat sich noch nie gegen meinen Vater gestellt. Das würde es nur noch schlimmer machen.«
»Ich hasse heterosexuelle Männer«, sage ich düster.
Walt seufzt. »Ich auch.«
Ich bin immer noch so betroffen darüber, was bei Walt los ist, dass es mir erst nach ein paar Minuten auffällt: Die Stimmung während der Morgenversammlung ist anders als sonst. Es ist ungewöhnlich still in der Aula, und als ich mich neben Tommy Brewster setze, sehe ich, dass er die neue Ausgabe der Schülerzeitung
liest. »Hast du das schon gesehen?«, fragt er und wedelt mit dem Heftchen.
»Was meinst du?«, sage ich unschuldig.
»Na den Artikel. Ich hab gedacht, du schreibst für das Käseblatt. «
»Hab ich mal, aber das ist schon ein paar Monate her.«
»Dann würde ich mir an deiner Stelle mal schleunigst ein Heft
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