The Carrie Diaries - Carries Leben vor Sex and the City - Band 1
geht man nur umso gestärkter daraus hervor. Das Wissen, dass man über gewisse Selbstheilungskräfte verfügt, auf die man sich im Ernstfall verlassen kann, trägt enorm zur charakterlichen Entwicklung bei, und je …«
»Danke, Dad.« Ich stehe auf und drücke ihm einen Kuss auf die Stirn. »Ich weiß, was du sagen willst.«
Ich gehe wieder nach oben in mein Zimmer und inspiziere meinen Kleiderschrank. Nachdem ich erst überlegt hatte, etwas extrem Ausgeflipptes anzuziehen – gestreifte Leggings und ein kariertes Hemd –, entscheide ich mich jetzt doch für die schlichtere Variante: lila Rollkragenpulli, braune Cordjeans und Collegeschuhe. Schließlich will ich keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich lenken.
Draußen empfängt mich ungewöhnlich warmes Aprilwetter – es ist einer dieser Tage, an denen man spürt, dass der Frühling nicht mehr lange auf sich warten lässt –, und ich beschließe spontan, zu Fuß zur Schule zu gehen. Mit dem Bus sind es vier Meilen, aber da ich sämtliche Abkürzungen durch die kleinen Seitenstraßen kenne, kann ich den Weg in weniger als einer halben Stunde schafen. Meine Route führt mich an dem kleinen Bungalow von Walts Eltern vorbei, der durch eine lange Hecke von der Straße abgeschirmt wird, hinter der ein – dank Walts Bemühungen – perfekt gepflegter paradiesischer Garten liegt. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass eine siebenköpfige Familie – Walt hat noch vier Geschwister – in einem so winzigen Haus überhaupt Platz findet. Aber Walt, der sich ein Zimmer mit seinem jüngeren Bruder teilen muss, hat mir schon öfter erzählt, dass es bei ihnen deswegen auch immer wieder Stress gibt.
Als ich an dem Haus vorbeischlendere, bleibe ich verdutzt stehen. In einer Ecke des Gartens steht ein grünes Campingzelt, von dem aus ein oranges Stromkabel quer über den Rasen zum Haus führt. Ein Zelt in Walts heiß geliebtem Garten? Normalerweise würde er so eine Blasphemie niemals zulassen. Ich gehe etwas näher heran und spähe über die Hecke, als plötzlich die Plane vor dem Zelteingang zur Seite geschlagen wird und Walt
blass und ungekämmt in einem zerknitterten T-Shirt und Jeans herauskriecht. Er reibt sich die Augen und wirft dann einem Rotkehlchen, das vor ihm im Gras hüpft und nach Würmern sucht, einen gereizten Blick zu. »Verzieh dich!«, ruft er und verscheucht es mit wedelnden Armen. »Blöder Vogel«, murmelt er, als das Rotkehlchen schimpfend davonfliegt.
»Walt?«
»Hm?« Er kneift die Augen zusammen. Walt ist kurzsichtig und bräuchte eigentlich dringend eine Brille, was er allerdings kategorisch ablehnt, weil sich seine Augen dann angeblich nur verschlechtern würden. »Carrie? Was machst du denn hier?«
»Was hat dieses Zelt in eurem Garten zu suchen?«, frage ich genauso verblüfft zurück.
»Das ist meine neue Luxusbleibe«, sagt er in seiner gewohnt trockenen Art. »Da staunst du, was?«
»Ich versteh gar nichts mehr.«
»Warte.« Er hebt die Hand. »Ich muss erst mal pinkeln. Bin gleich wieder da.«
Er verschwindet im Haus und kehrt ein paar Minuten später mit einem Becher Kafee in der Hand in den Garten zurück. »Ich würde dich ja auf einen Sprung reinbitten, aber ich fürchte, dass du es da drin nicht sonderlich einladend finden würdest.«
»Würdest du mir jetzt bitte mal erklären, was hier eigentlich los ist?« Ich komme in den Garten und gehe auf ihn zu, worauf er mich seufzend ins Zelt winkt.
Der Boden ist mit einer Plane bedeckt; links liegen ein Schlafsack mit einer groben Wolldecke darüber und ein Haufen Kleidungsstücke; rechts steht ein kleiner Campingtisch mit einer alten Schreibtischlampe und einer aufgerissenen Schachtel Oreo-Kekse darauf. Walt wühlt in den Klamotten, findet eine
Schachtel Zigaretten und hält sie mir hin. »Einer der Vorteile, wenn man nicht mehr zu Hause wohnt. Niemand kann dir das Rauchen verbieten.«
»Ha.« Ich setze mich im Schneidersitz auf den Schlafsack und zünde mir nachdenklich eine Zigarette an. »Seit wann schläfst du denn schon hier?«
»Seit ein paar Tagen.«
»Ist es nicht ein bisschen zu kalt, um zu zelten?«
»Wieso? Heute geht’s doch.« Er dreht sich zur Seite und ascht in eine Ecke des Zelts. »Außerdem gewöhnt man sich ziemlich schnell daran. Und hey, wer braucht schon fließendes Wasser und ein kuscheliges Bett, wenn er stattdessen diese Lagerfeuerromantik genießen kann?«
»Soll das ein Witz sein?«
Er seufzt. »Hörst du mich lachen?«
»Wieso bist du dann
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