The Cocka Hola Company: Roman
ein Bücherregal, das sich auf den zweiten Blick als Videoregal entpuppt, dicht an dicht voller Kassetten, ohne Hüllen, nur schwarze Kassetten mit beschrifteten roten und weißen Etiketten.
Tiptop steht auf. Sein Blick ist auf die Kaffeemaschine gefallen und er hat augenblicklich Lust auf Kaffee bekommen. Er hakelt sich mit dem Zeigefinger die sauberste Tasse vom Tisch und wuselt die paar Schritte zur Kaffeemaschine rüber, schlenkert dabei die Tasse und verschüttet einen Schwapps, ohne es zu bemerken. Tiptop schlürft und schätzt den Kaffee auf mindestens vier Stunden, wahrscheinlich um halb neun früh zubereitet. Tödlich bitter, aber das ist ihm wurscht.
Er setzt sich ans andere Ende vom Sofa, neben das Videoregal. Mit übergeschlagenen Beinen, die Hände um die Kaffeetasse gelegt, beugt er sich vor und schaut das Regal durch. Auf dem obersten und zweitobersten Bord stehen (außerhalb von Lonyls Reichweite) die Tiptop wohlvertrauten DESIREVOLUTION-Filme. Darunter die ÜBERBLOND-Produktionen (nicht ganz ein Bord voll) und daneben die COOLCONVENTION-Dokumentationen. Außerdem entdeckt Tiptop eine Kassette mit der Aufschrift Speedo/Van GmbH. Die hat er noch nie gesehen. Von Ritmeester gibt es keine Videodokumentation, das wäre mit seinem Isolationsprojekt absolut nicht vereinbar. Tiptop nimmt an, dass Ritmeesters handschriftliche Berichte sich in PapaHans’ Archiv befinden. Sie werden zu jedem Infomeeting in einem einzigen Exemplar geliefert. Mit dem Organisatorischen hat Tiptop nichts zu tun, aber ihm sind die Größe und die Ordnung des PapaHans-Archivs aufgefallen, und er kann sich nicht vorstellen, dass die Ritmeester-Berichte woanders sind. Er hatte gedacht, auch die Van GmbH bestünde ausschließlich aus Berichten, aber offensichtlich hat er sich da getäuscht. Tiptop fingert die Speedo/Van Gmbh-Kassette aus dem Regal, schaut sie an (sie ist zurückgespult), dreht sie um, steht auf und schlurft zum Videogerät. Er steckt sie hinein, nimmt, Simpels Rücken im Augenwinkel, eine Fernbedienung in jede Hand, drückt links auf PLAY und stellt rechts auf stumm. Man kann nie vorhersagen, was Simpel verärgert und was nicht. Diesmal reagiert er nicht. Schon seltsam eigentlich, denkt Tiptop und sinkt wieder aufs Sofa.
Das Video startet mit einer schriftlichen Einführung, dem Zwangsalkoholikervertrag, wie Tiptop sieht. Die Buchstaben, sie sollten schwarz auf weiß erscheinen, sind etwas in die Länge gezogen, ihre Ränder flimmern in diversen Farben: schlechtes Magnetband. Der Vertrag ist fast fünf Jahre alt. Da steht:
Ich, Speedo, werde vom heutigen Tag an alles in meiner Macht Stehende tun, um zum Alkoholiker zu werden. Diese Entscheidung widerspricht meiner Veranlagung: Ich darf mich mit Fug und Recht als nicht zum Trinker disponiert bezeichnen. Außerdem widerspricht diese Entscheidung der Erziehung, die mein Vater mir hat angedeihen lassen.
Ich rechne damit, das Projekt innerhalb von drei Jahren durchführen zu können, anders gesagt plane ich, trotz meiner Disposition innerhalb von drei Jahren völlig alkoholabhängig zu werden.
Finanziert wird das Projekt von DESIREVOLUTION , unter der Voraussetzung, dass ich es nicht beende, auch nicht bei erreichter Alkoholabhängigkeit. Bei Abbruch des Projekts oder einem Rückfall zum Nichtalkoholismus verpflichte ich mich, die investierten Mittel zurückzuerstatten.
Die Projektgesellschaft Van GmbH (Versus Alcoholis Negatio – registriert in Deutschland) ist eine Tochtergesellschaft von DESIREVOLUTION und wird in den wesentlichen Schankstätten der Stadt auf der Kundenkredit-Liste geführt.
Allein ich selber, Speedo, bin in das Projekt involviert. Daher bin ich sowohl der Geschäftsführer als auch der einzige Angestellte der Van GmbH.
Nach dieser Einleitung folgt ein Close-up von Speedo am Tag des Projektstarts. Speedo blickt in die Kamera und lächelt ein wenig. Tiptop sieht, dass Speedo sich seither fast zur Unkenntlichkeit verändert hat. Danach folgt eine Reihe Clips mit wild bewegter Kameraführung; Tiptop nimmt an, sie stammen aus den ersten vier, fünf Wochen des Projekts. Abrupte Dialoge zwischen Speedo und dem ganz offensichtlich ebenso besoffenen Kameramann, Clips von Speedo, der in dunklen Lokalen über diversen Tresen hängt und Bier bestellt, durch die Straßen der Stadt taumelt, halbherzig ein bisschen lallt bzw. singt und sich in Nebenstraßen und an Straßenecken erbricht. Am längsten ist eine Aufnahme von Speedo – offenbar hat das den
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