The Cocka Hola Company: Roman
Rücken zukehrt; f) beißt; kurz, er blamiert Motha auf jede nur erdenkliche Weise. Lonyl kümmert sich selber um seinen Ausgleichssport, er braucht dazu weder Club noch Organisation. Jeden Tag nach der Schule hopst er auf dem Wildleder-Ecksofa vorm Fernseher auf und ab, und zwar bis er zusammenbricht, meist zwischen zehn und elf Uhr abends. Lonyl lässt sich nicht ins Bett bringen, erst muss er in Eigenregie zusammenbrechen.
Motha hat Groepple bei Gelegenheit Lonyls Tendenzen zur Hyperaktivität geschildert. Groepple fand das bemerkenswert, zumal angesichts Lonyls früherer Passivität. Davon, dass ein Kind von einer Sprech- und Bewegungsphobie so abrupt zu etwas übergeht, das einer Hyperaktivität zum Verwechseln ähnlich sieht, hatte er noch nie gehört. Daher auch sein Rat zu organisiertem Sport. »Hökstfahrscheinlisch ißt daß, faß fir in unßerer Ahnunksloßigkeit als Hyperaktifität pezeischnen, nischts antereß als der Außtruck einer Art Üperkankßphaßenphopie. Waß isch alßo aufß Färmste empfehlen möschte, alß Behantlunk und zur Kanalißierunk von Lonyls raßender Aktifität, daß ißt orkanißierter Schport, denn orkanißierter Schport wirkt zumeißt schtrukturierent und ditziplinierent, außertem kann das Klainkint sisch tapei außtopen. Ta ißt tein Sohn Lonyl ßischer keine Außnahme.« Mehr als einmal hat Motha Groepple und seine Diagnose verflucht – wenn sie an der Seitenlinie stand, beschämt, eindeutig als Lonyls Erziehungsberechtigte erkennbar zu sein, schließlich konnten die anderen Eltern messerscharf von Afro I auf Afro II schließen – und sie hat den Kinderarzt auf den Mond gewünscht, während Lonyl eine Teufelei nach der anderen trieb. Lonyls Karriere im Vereinswesen war kurz und schmerzvoll; Gruppen- und Mannschaftssport wurde alsbald wieder verworfen. So beschlossen Motha und Simpel einhellig, das Ecksofa zu opfern. Seither dient es Lonyls Hyperaktivität als Mutterschiff. Übrigens ist das Sofa sowieso Mist – also was soll’s.
Teilweise hat sich Simpel schon an das von vier, fünf Uhr nachmittags bis zehn, elf Uhr abends anhaltende TWOMP-TWOMP-TWOMP gewöhnt, das nur in regelmäßigen Abständen vom OIIIK-OIIIK des Filzers auf der Wandverkleidung unterbrochen wird. Diese relativ geräusch- und bewegungsarmen Pausen, in denen sein Sohn die Wände schwärzt, schätzt er ausgesprochen, aber sie sind kurz, meist wird gehopst. Lonyls kurze, prall muskulöse Beine geben erst auf, wenn der ganze kleine Körper dehydriert oder so. Simpel hat eine Rechnung aufgestellt – nicht aus Spaß, sondern aus verzweifelter Wut: Durchschnittlich fünf Stunden (17–22 h) x 60 = 300 Minuten x 60 = 18.000 Sekunden macht bei einer Hopsfrequenz von 1/sec. 18.000 Hopser jeden einzelnen verfluchten Nachmittag und Abend. Eine niederschmetternde Zahl. »Den ganzen scheiß Schultag lang sitzt er reglos da und kritzelt rum, und dann kommt er nach Hause und hopst 18.000 Mal – das ist doch wahnsinnig ungerecht!« Dreimal hat Simpel es gewagt vorzuschlagen, man könne Lonyls Carpacciorationen etwas reduzieren, damit er vor Hunger schlapp macht, aber jedes Mal hat Motha ihm gründlich Bescheid gestoßen. Ob er sein eigenes Kind verhungern lassen wolle? Damit er es los sei, ein für alle Mal? Sein kleinlaut vorgebrachter Einwand, er müsse doch auch ein bisschen in der Wohnung existieren dürfen, hat nichts geholfen. Schluss mit der Diskussion. Lonyl hopst weiter auf dem Sofa, seine Beine werden immer stärker.
Es ist fünf vor halb eins. Die Vertretungslehrerin hebt ihr ramponiertes Gesicht vom Klassenbuch und schaut in die Runde. Die Kinder sind mit einer Rechen-und-Ausmal-Aufgabe beschäftigt. Sie schaut auf die Uhr und blickt Lonyl an. Lonyl malt das puzzleartige Bild mit den Rechenaufgaben (»Male aus: Die Antworten zu den Aufgaben 1 bis 3: blau, 4 bis 7: rot, 8 bis 11: grün, 12 bis 15: gelb«) nicht bunt, sondern schwarz aus, er grundiert alles mit seinem Filzer. Die Vertretungslehrerin hat keine Energie mehr, ihn zurechtzuweisen oder mit ihm zu streiten, also räuspert sie sich, was mit einem halblauten Würgelaut endet, und bemerkt mit wenig überzeugender pädagogischer Einfühlung:
– Lonyl.
– …
– LooonyYYL!
– JaaaAAA!
– Lonyl, in fünf Minuten musst du gehen, du kannst dich jetzt fertig machen.
– Fertig machen?
– Du kannst deine Sachen einpacken und in den Flur gehen und dich anziehen.
– Ich kann nix einpacken, Fräulein, ich hab meinen Rucksack nicht mit,
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