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The Cutting

The Cutting

Titel: The Cutting Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Hayman
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Angst verstanden hatte, die jetzt an ihr nagte und die sie einfach nicht loslassen wollte. Lucy machte die Augen zu und versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken.
    »Reiß dich zusammen.« Ihr Zwiegespräch mit sich selbst war beinahe flehend. »Nicht nachgeben. Du kommst hier nur raus, wenn du ruhig bleibst und klar denkst.« Sie atmete tief und langsam ein und aus, genau so, wie sie es bei Rebecca im Yoga-Unterricht gelernt hatte. Sie versuchte, sich irgendwo anders hinzuträumen. Sie konzentrierte sich darauf, ihren Herzschlag zu verlangsamen. Sie lauschte. Außer einem fernen Brummen, das möglicherweise von einer Klimaanlage stammte, war kein Laut zu hören.
    Sie blickte sich noch einmal um, nahm die Einzelheiten ihres Zimmers wahr. Es war klein, zehn Quadratmeter vielleicht, und fensterlos. Die Wände und die Decke waren weiß und schienen mit Schallschutzfliesen beklebt zu sein. Lucy hoffte, dass diese Fliesen tatsächlich dafür gedacht waren, das Zimmer schalldicht zu machen. Denn das konnte bedeuten, dass es außerhalb dieses Zimmers jemanden gab, der nicht hören sollte, was sich im Inneren abspielte. Der ihre Schreie nicht hören sollte. Dann war da eine Tür, die schwer und robust aussah. Wahrscheinlich aus Stahl oder einem anderen Metall. Sie besaß einen silbernen Knauf, der sich mit einem Knopf verriegeln ließ, und darüber noch ein zusätzliches Schloss. Vermutlich war der Bolzen vorgelegt, doch der Türschlitz war zu schmal, um es genau zu sehen.
    Dann drang ein zweites Geräusch in ihr Bewusstsein. Atemzüge, die nicht ihre eigenen waren. Langsame, flache Atemzüge, hinter dem Bett. Sie hielt die Luft an und lauschte. Ja, eindeutig Atemzüge. Sie hatte Angst, etwas zu sagen, Angst, sich zu rühren. Irgendwann fing sie wieder an zu weinen. »Wer sind Sie?«, schluchzte sie. »Was wollen Sie von mir?«
    Sein Gesicht, das Gesicht von der Prom, schob sich in ihr Blickfeld. Er hielt eine Subkutanspritze in der Hand. Er rieb ihren Arm mit einem Alkoholtupfer ab. »Tut mir leid, Lucinda, aber ich bin noch nicht bereit für dich.«Er stürzte sie zurück in die Dunkelheit.

5
    Samstag, 4.30 Uhr
     
    Es dämmerte schon fast, als McCabe schlammbedeckt, mit blauen Flecken übersät und mit mehr schmerzenden Körperteilen, als ihm lieb war, auf den Parkplatz hinter dem großen, weißen viktorianischen Haus in der Eastern Promenade fuhr. Er dirigierte den liebevoll restaurierten kirschroten 57er T-Bird in die Parkbucht Nummer drei. In ihrem ersten Ehejahr hatten McCabe und Sandy jeden Cent zusammengekratzt, hatten an allen Ecken und Enden gespart und sich dieses Auto gekauft. Er blieb eine Minute lang sitzen, gab sich seinen Schmerzen hin, hielt das Lenkrad umklammert, ohne zu wissen, wieso ihm ausgerechnet jetzt diese Zeit in den Sinn kam. Diese Zeit der Unschuld war längst Vergangenheit. Nichts hatten er und Sandy damals mehr genossen, als an einem Sommersamstag mit offenem Verdeck durch Westhampton Beach zu kurven. Typen, die zwanzigmal mehr verdienten als er und Sandy – Börsenmakler, Wertpapierhändler, Fernsehproduzenten –, umrundeten das parkende Autos mit langsamen Schritten und bedachten sowohl McCabes Oldtimer als auch McCabes Frau von allen Seiten mit bewundernden Blicken. Ein bitteres Lächeln zog über sein Gesicht. Michael McCabe, vierundzwanzig Jahre alt. Heißer als die Hölle. Heißes Auto. Heiße Frau. Heiße Zeiten.
    Dann hatten die heißen Zeiten ein Ende gefunden. Er empfand es immer als irgendwie amüsant – schmerzhaft, aber amüsant –, dass Sandy, als sie schließlich mit genau so einem Typen abgehauen war, unbedingt das Auto behalten wollte. Nicht etwa die Tochter, die sie an einem jener Wochenenden in einer mondbeschienenen Nacht auf einer Decke in den Dünen von Westhampton gezeugt hatten. So wie er Sandy kannte, hätte sie in der Scheidungsverhandlung bestimmt das Sorgerecht für das Auto beantragt, wenn ihr Rechtsanwalt sie gelassen hätte. »Wollen wir mal sehen«, hörte er sich im Geiste zu ihr sagen. »Tausche einundvierzig Jahre altes Oldtimer-Cabrio gegen kleines Mädchen. Dann sind wir quitt. Keine Joker, keine verhandelbaren Konditionen. Tja, leck mich am Arsch, Sandy. Ich hab sie alle beide und, nein, du kriegst sie nie wieder zurück.«
    McCabe öffnete die Fahrertür und stieg vorsichtig aus. Es hatte aufgehört zu regnen. Am östlichen Himmel über der Bucht waren Sterne und eine erste zarte Andeutung von Rot über dem Horizont zu sehen. Er ging die

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