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The Cutting

The Cutting

Titel: The Cutting Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Hayman
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kam ihr absolut lächerlich vor. Von einem ausgedachten Zauberlehrling im Teenageralter vergewaltigt zu werden. Einem britischen, ausgedachten Zauberlehrling im Teenageralter. »Herr Wachtmeister, Harry Potter hat sich mir unsittlich genähert.«
    »Aber, Miss, ich bitte Sie, das ist doch so ein freundlicher kleiner Bursche.«
    Lächerlich. Fürchterlich. Sie musste lachen. Ein bisschen hysterisch. Sie war sich sicher, dass er sie vergewaltigen würde. Wenn die Vergewaltigung sich nicht vermeiden lässt, dann leg dich auf den Rücken und genieß es. Das bekam man doch von all den Arschlöchern dieser Welt immer zu hören, oder nicht? Schwachsinn. Sie würde sich gegen diesen Hurensohn zur Wehr setzen. Und wenn sie bloß den Bruchteil einer Chance bekäme, dann würde sie ihm den Schwanz abbeißen, so wie einst Lorena Bobbit. Bei der Vorstellung ging es ihr gleich ein bisschen besser. War es möglich, dass er sie vielleicht schon vergewaltigt hatte, während sie bewusstlos gewesen war? Wohl kaum. Ohnmächtig hin oder her, dann hätte sie doch jetzt zumindest das vage Gefühl haben müssen, dass etwas Derartiges passiert war.
    Falls er sie vergewaltigte, was käme danach? Sie wusste, wie er aussah. Er würde sie nicht einfach gehen lassen, auch nicht, wenn sie ihm versprach, den Mund zu halten. Vielleicht würde er sie ja für ein weiteres Mal hierbehalten. Oder für eine Menge weitere Male. Aber dann, irgendwann, würden die Vergewaltigungen, wie alles im Leben, langweilig werden. Dann würde er sie umbringen. Mit einem Messer? Einer Pistole? Er besaß eine Injektionsnadel. Das Wort »Todesspritze« geisterte ihr durch den Kopf.
    Sie hätte nie gedacht, dass ihr Leben einmal so enden würde. Sie begann zu weinen. Nicht heftig schluchzend, sondern still und leise. So etwas passierte doch immer bloß den anderen. Doch nicht starken, fähigen Menschen wie ihr. »Ich werde das nicht zulassen.«
    Sie formte die Worte mit ihren Lippen, ein Ritual, um ihren Willen zu stärken. »Ich werde nicht zulassen, dass das geschieht.« Sie hatte keine Ahnung, was sie tun könnte … aber irgendetwas. War das Verleugnung? War nicht die erste, automatische Reaktion im Angesicht des sicheren Todes immer Verleugnung? Und was war das nächste Stadium dieser allseits bekannten Litanei? Angst? Wut? Akzeptanz? Sie wusste es nicht mehr. Nun, sollte es die Angst sein, dann hatte sie die Verleugnung gerade in Windeseile hinter sich gelassen. Denn jetzt spürte sie nichts anderes mehr als Todesangst.
    Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Stunden? Tage? Charlie Roberts oder John Beckman hatten sie bestimmt angerufen, als sie nicht zur Arbeit erschienen war, zu Hause, auf dem Handy. Sie wussten, dass es nicht ihrer Art entsprach, einfach nicht zur Arbeit zu kommen, schon gar nicht, wenn eine wichtige Sitzung anstand. Würden Beckman & Hawes in so einem Fall die Polizei verständigen? Sie wusste es nicht. Vielleicht hatte sie auch das Abendessen mit David bereits verpasst. Jedenfalls verspürte sie einen wahnsinnigen Hunger. David hätte sie doch bestimmt angerufen, oder nicht? David hätte die Polizei benachrichtigt, oder nicht? Aber David war so ein Arschloch, vielleicht hatte er auch bloß gedacht, dass sie ihn versetzte, und war wütend aus dem Restaurant gestürmt. Wieso hatte sie ihn überhaupt geheiratet? Wahrscheinlich weil er gut im Bett war. Sei doch nicht so blöd. Heutzutage heiratet doch keiner mehr wegen Sex.
    Brachte das Fernsehen vielleicht Berichte über ihre Entführung, vielleicht jetzt gerade in diesem Moment? Sie stellte sich vor, wie Bilder von ihr über den Bildschirm flackerten.
    »Seit heute wird Lucinda Cassidy aus Portland vermisst. Ms. Cassidy trug eine kurze blaue Jogginghose und einen weißen Sport-BH.« Nein, das konnten sie ja gar nicht wissen, oder? Sie musste an diese junge Frau denken, die vor ein paar Jahren aus irgendeinem Club entführt worden war. Irgend so ein Widerling hatte sie erschossen und unten in Scarborough begraben. Und, genau, erst letzte Woche war doch diese Highschool-Fußballerin verschwunden, Katie irgendwas. Sie war noch nicht wieder aufgetaucht, weder tot noch lebendig.
    Lucy konnte sich gut an die aufrichtige Wut erinnern, die sie empfunden hatte, während sie sicher und geborgen vor ihrem Fernseher gesessen und sich Berichte über vermisste Frauen angeschaut hatte. Ihr war nie klar gewesen, wie wenig sie dabei von der Realität eines solchen Ereignisses begriffen hatte. Wie wenig sie die

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