The Cutting
erste Anzeichen dafür, dass der Gin endlich anfing zu wirken und allmählich seinen Auftrag erfüllte. Sie griff nach dem halbfertigen Times -Kreuzworträtsel, ließ es aber gleich wieder sinken.
»Dieser Detective war heute hier«, sagte sie. »Dieser McCabe.«
»Tatsächlich? Was wollte er denn?«
»Ich war gerade im Garten, und da habe ich gesehen, wie er in unsere Garage geschielt hat. Dann ist er reingekommen und hat mir Fragen gestellt.«
»Was denn für Fragen?«
»Hauptsächlich über unsere Autos und wer welchen Wagen fährt. Er hat sich auch nach Lucas erkundigt.«
»Was hast du ihm gesagt?«
»Dass wir Lucas gekannt haben. Dass er tot ist. Dass er ermordet wurde.«
Philip wirkte kurz nachdenklich. »Keine Sorge«, sagte er dann. »Es ist alles in Ordnung.«
17
Wie lange war sie jetzt schon hier in der Dunkelheit? Stunden? Tage? Wochen? Länger? Lucy hatte keine Ahnung, keine Möglichkeit, die verstrichene Zeit zu messen. Ein- oder zweimal hatte sie es mit Zählen versucht. »Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig.« Aber jedes Mal, wenn sie bei fünfhundert- oder sechshunderteinundzwanzig anlangt war, hatte sie schon wieder vergessen, wieso sie überhaupt angefangen hatte zu zählen.
Ihre Kehle war wie ausgedörrt. Sie hatte Magenkrämpfe vor Hunger. Irgendwo hatte sie einmal gelesen, dass der Mensch ohne Essen wochenlang überleben konnte, aber ohne Wasser nur drei oder vier Tage. Sie hatte fürchterlichen Durst. Ihre Zunge lag wie ein riesiges, trockenes, pelziges Ding in ihrem Mund, obwohl sie noch nicht vollkommen dehydriert sein konnte. Selbst jetzt war sie noch im Stande, Tränen zu produzieren. Mehr als einmal hatte sie gespürt, wie die nassen Tropfen unter ihren Augenlidern hervorquollen und ihr die Wangen hinunterliefen. Sie versuchte jedes Mal, sie mit der Zunge aufzufangen und ihren Mund damit zu befeuchten, aber es gelang ihr nie.
18
Montag, 8.00 Uhr
Montagmorgens um diese Zeit war die Middle Street vollgestopft mit lauter Arbeitsbienen auf dem Weg in ihre jeweiligen Bienenstöcke. McCabe zwängte sich an einem Trio aus nadelgestreiften Rechtsanwälten vorbei, die im Gleichschritt nebeneinander den Bürgersteig entlangkamen. Anwälte und Börsenmakler. So ungefähr die einzigen Leute in Maine, die immer noch mit Anzug ins Büro gingen. Eine hübsche Blondine mit einer engen Jeans und einer Aktenmappe in der Hand lächelte ihn an. Ein dicker brauner Labrador dackelte neben ihr her. Offensichtlich war auch er auf dem Weg ins Büro.
McCabe betrat die 109 und lief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Der Laden brummte schon. Tom Tasco winkte ihm zur Begrüßung zu, und McCabe blieb stehen. »Wie kommt ihr mit den Ärzten voran?«, erkundigte er sich.
»Wir sind mit drei Teams dran, die den ganzen Tag nichts anderes machen. Während der letzten vierundzwanzig Stunden haben wir mit zweiundsechzig Chirurgen gesprochen. Und heute haben wir noch mal jede Menge vor uns.«
»Was Interessantes dabei?«
»Bis jetzt noch keine Verdächtigen, aber falls du jemals einen vierfachen Bypass brauchst, sag mir Bescheid. Ich hab jetzt vielfältige Beziehungen.«
Maggie telefonierte und hatte, wie üblich, die Füße auf ihren Schreibtisch gelegt. Als McCabe vor seinem ankam, wurde er von einem übergroßen Notizzettel von Shockleys Sekretärin begrüßt. Der Chief möchte Sie sprechen. SO BALD WIE MÖGLICH!!! Deirdre. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, noch mehr Dummgelaber vom GS. Mit fragender Geste – Weißt du, was das soll? – hielt er Maggie den Zettel hin. Achselzuckend schüttelte sie den Kopf.
Er machte sich auf den Weg in Shockleys Eckbüro. Am besten schaffte er sich die Angelegenheit, was immer es war, gleich vom Hals. Die Tür war offen. Deirdre sagte ihm, er solle eintreten. Shockley befand sich offensichtlich voll im Dummlaber-Modus, Hemd aufgeknöpft, Krawatte gelockert. Seine Show wurde von einem aufmerksamen Publikum verfolgt. Auf dem riesigen Ledersofa saßen der Bürgermeister der Stadt Portland, Gary Short, eins fünfundneunzig groß, und Will Hayley, langjähriges Mitglied des Stadtrates. In einer Stadt, in der die Ratsmitglieder im jährlichen Wechsel einen Bürgermeister aus ihren Reihen wählten, besaß Short kein bisschen mehr Einfluss als Hayley, und in Fragen der öffentlichen Sicherheit hatte Shockley mehr zu sagen als alle
beide.
»Setzen Sie sich, Mike.« Shockley deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Sie kennen Gary
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