The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder
so anmutigen, hübschen Skulpturen. Ein nacktes Kind aus Bronze, das ihr bis zur Hüfte reichte, neigte eine Gießkanne über seine kniende Schwester, und ein dünner Strahl echten Wassers tröpfelte aus der Kanne.
»Beeil dich, Mädchen«, rief Sephie ungeduldig von oben.
Gaia hob die Arzttasche, eilte hinter Sephie her und betrat ein Schlafzimmer, das hell und luftig wie der Rest des Hauses war. In einem riesigen Himmelbett lag eine keuchende junge Frau. Ihr mattbraunes Haar war ganz durcheinander, und in ihren Augen stand die Angst. Gaia war überrascht, niemanden sonst anzutreffen: keine helfende Mutter oder Tante, keine Schwestern, die in der Küche Essen richteten oder bereitstanden, falls sie gebraucht wurden. Diese Frau war einsamer als die meisten Mütter, die sie außerhalb der Mauer kennengelernt hatte.
Sephie redete bereits beruhigend auf die junge Frau ein und nahm ein paar Handschuhe aus ihrer Tasche. »So, Schwester Dora, alles wird gut«, sagte sie. Dann bat sie Gaia, ihr das Kleid zurückzubinden, und reichte ihr eine Schürze. Sephie bettete die Frau in eine bequemere Lage und schickte sich an, sie zu untersuchen.
»Du bleibst hier?«, fragte sie Tom mit einem Seitenblick. Der warf einen beklommenen Blick auf seine Frau und nickte. »Gut, dann mach dich nützlich. Stütz ihren Rücken. Nimm diese Kissen.«
»Gaia!«, sagte Sephie scharf, als der junge Mann immer noch unschlüssig dastand.
Doch Gaia war schon bei der Arbeit. Sie sah genau, was getan werden musste. Es war, wie mit ihrer Mutter zusammen zu sein – all die vertrauten Eindrücke -, und doch war es anders. In den letzten Wochen vor der Mauer war Gaia stets in der Pflicht und für jede Entscheidung verantwortlich gewesen. Es war eine Erleichterung, wieder nur Assistentin zu sein. Als Tom Doras Hand ergriff, beruhigte sie sich etwas, und Gaia merkte, dass sie noch mehr Zeit bis zur Geburt hatten, als sie aufgrund der Schreie bei ihrer Ankunft geglaubt hatte.
»Das Kind liegt in Steißlage«, sagte Sephie plötzlich. »Ist die Schwangerschaft normal verlaufen? Ist das Kind nicht zu früh?«
Tom sah verwirrt drein. »Es hätte nächste Woche kommen sollen.«
Sephie nickte, zog die Stirn in Falten und hielt die Knie der Frau ruhig, als die Wehen wieder einsetzten. Gaia wusste, dass eine solche Geburt, bei der das Baby mit dem Hinterteil zuerst geboren wurde, komplizierter und langwieriger sein konnte. Wenigstens waren die Hüften des Kindes nach einer normal langen Schwangerschaft ebenso breit wie der Kopf, und es würde vermutlich nicht stecken bleiben. Sie hatte ihrer Mutter bei einem halben Dutzend solcher Fälle geholfen, aber sie hatte es noch nie selbst gemacht und war froh, dass Sephie da war und wusste, wann und wie sie das Baby drehen mussten, wenn es kam.
»Das Kind liegt in reiner Steißlage, beide Beine nach oben«, sagte Sephie. »Und sie ist noch nicht allzu weit mit den Wehen. Ich würde sagen …« Sie hielt inne und dachte nach. Gaia sah zu, wie sie den Bauch der Schwangeren abtastete. Sanft ließ sie ihre Hände darübergleiten, und hier und da stupste sie zuversichtlich. »Ja«, sagte Sephie. »Wir werden es drehen.«
Gaias Augen wurden groß vor Erstaunen. »Geht das denn?«
Aber Sephie war schon neben Dora aufs Bett geklettert. »Habt ihr Wodka im Haus?«, fragte sie Tom. »Und eine Wärmflasche? Wir müssen das hier verlangsamen.«
Gaia war entsetzt. Wenn Sephie sich irrte und diese Geburt unnötig hinauszögerte, konnte es nur noch gefährlicher für das Baby werden. Doch Sephie redete schon beruhigend auf ihre Patientin ein und erklärte ihr, dass sie vorhatte, das Baby in der Gebärmutter nach oben zu schieben, auf die Seite zu legen und dann Schritt für Schritt weiter zu drehen, bis sein Kopf nach unten zeigte. Gaia legte ihre Hände auf die Stellen, die Sephie ihr wies, und ertastete behutsam und bestimmt die kleinen Ellbogen und Knie im angeschwollenen Bauch der Frau. Sie hatte das noch nie getan, und es wäre ihr vorher im Traum nicht eingefallen. Sie stellte sich den Protest des Babys dort drinnen vor und bekam Angst, dass sich die Nabelschnur um Kinn oder Knie des Kindes wickeln könnte. Doch Sephie arbeitete entschlossen weiter, beruhigte Dora, ließ sie zwischen den Wehen verschnaufen, und als bald darauf das kleine Mädchen ohne Schwierigkeiten Kopf voraus geboren wurde, kannte Gaias Bewunderung für ihr Geschick keine Grenzen.
»Sie ist wunderschön!«, sagte Tom und drückte Doras Hand. »Ein
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