The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder
es nicht einmal Emily verraten, als sie dieselben vier Tupfen auf deren Knöchel entdeckt hatte, und würde es auch sonst niemandem sagen.
»Habt ihr je gedacht, dass ihr auch mich vorbringen müsstet?«, fragte sie.
»Die Möglichkeit bestand.«
»Bis zu meinem Unfall.«
»Ja.«
Gaia betrachtete wieder ihre Sommersprossen. »Ich frage mich, ob die Kinder, wenn sie groß werden, sich je ihre Sommersprossen zeigen und sich fragen, warum sie alle die gleichen haben.«
»Das ist nicht sehr wahrscheinlich«, sagte ihr Vater.
»Warum gibt Mom sie ihnen dann?«, fragte Gaia.
Ihr Vater wandte sich ab und blickte den Hang hinauf Richtung Wharfton. »Ich nehme an, das gibt ihr ein gutes Gefühl. So wie die Kerzen, die wir zum Essen entzünden.«
»Habe ich auch einen Zwilling innerhalb der Mauer?«
Er lachte. »Nein. Tut mir leid. Nur Arthur und Odin.«
Gaia brachte ihren Vater gern zum Lachen. »Wissen sie von mir?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, woher. Ich bin mir sicher, sie würden dich mögen. Obwohl du eine Menge Fragen stellst.«
»Ich verstehe immer noch nicht, was letzte Nacht so schwer für Mom war«, sagte sie. »Das größere Baby kam zuerst, ja? Also befolgte sie das Gesetz, indem sie das zweite Baby dieses Monats vorbrachte, genau, wie es von ihr erwartet wurde.«
Ihr Vater streckte seine Hand aus und half ihr, vom Fels zu springen. »Das stimmt. Aber deine Mutter ließ Amanda die Wahl. Darin liegt der Unterschied. Deine Mutter hat ein Schlupfloch im Gesetz ausgenutzt, und normalerweise befolgt sie es buchstabengetreu. Wenn sie anfängt, das Gesetz zu beugen, auch wenn es nur ein kleines bisschen ist, wird sie anfangen, das ganze System infrage zu stellen. Los jetzt, lass uns heimgehen.«
Gaia ging auf dem Pfad wieder voran und dachte angestrengt nach. Es gefiel ihr, dass ihr Vater sie für klug hielt und ihr sogar Geheimnisse anvertraute. Sie führte die einzelnen Fäden ihrer Unterhaltung zu einer einzigen, wichtigen Frage zusammen. Als sie den Rand des Trockensees erreichten, wandte sie sich an ihren Vater: »Hat Mom sich letzte Nacht gefragt, ob es richtig war, Arthur und Odin vorzubringen?«, fragte sie. »Denkt sie jetzt, dass sie eine Wahl gehabt hätte?«
Zum ersten Mal überhaupt, so schien es ihr, drehte ihr Vater ihr den Rücken zu. Er tat einen Schritt auf den steil abfallenden Hang zu und stand ganz still. Seine Finger umklammerten seine Hosennaht und rieben sie hektisch. Gaia wünschte, sie könnte ihre Frage zurücknehmen. »Tut mir leid, Dad«, sagte sie leise.
Langsam drehte er sich wieder zu ihr um und sagte mit leerem Blick: »Du hast immer eine Wahl, Gaia. Du kannst immer Nein sagen.« Seine Stimme klang seltsam hohl. »Sie können dich dafür töten, aber du kannst Nein sagen.«
Sie verstand seine Heftigkeit nicht, und er machte ihr Angst. »Was meinst du damit?«, flüsterte sie.
Er atmete ruhig und tief durch. Dann schien ihm wieder einzufallen, wo er war. »Ist schon gut, Gaia«, sagte er. »Es gibt ein paar Dinge, die wir nicht mehr infrage stellen können, sobald wir sie getan haben, denn sonst könnten wir nicht weiterleben. Und wir müssen weiterleben, jeden einzelnen Tag.« Er lächelte und war wieder der Mensch, den sie kannte. Er hob seinen Eimer und stieß ihn gegen ihren. »Deine Brüder sind besser dran in der Enklave. Wir können sie von Zeit zu Zeit vermissen, dennoch war es richtig, sie gehen zu lassen.«
Argwöhnisch betrachtete sie ihn. Dann stupste er gegen ihre Hutkrempe und lief voran. »Auf geht’s«, rief er, seine Stimme wieder warm und anheimelnd, »deine großen grünen Augen machen mich hungrig.«
»Dad!«, beschwerte sie sich. Sein Unsinn brachte sie zum Lachen. »Außerdem sind sie nicht grün. Sie sind braun.«
»Stimmt«, sagte er, »braun. Immerzu verwechsle ich das. Vergib mir.«
Als sie zu Hause ankamen, briet Gaias Mutter bereits gepfefferte Bratlinge aus Mycoprotein. Gaia kletterte die Leiter zu ihrem Zimmer hoch, um sich umzuziehen, während ihr Vater die Blaubeeren wusch und Kaffee kochte. Gaia band auf der hinteren Veranda das Moskitonetz zurück, um Platz zu machen fürs Frühstück, und sie schoben drei Stühle vor ans Geländer.
Das Windspiel gab ein leises Klingeln von sich, und Gaias Blick fiel auf eines der Hühner unter der Wäscheleine. Es schien Jahre her, dass sie den Diebstahl bemerkt hatte, und verglichen mit anderen Verlusten schien er kaum noch von Bedeutung zu sein. »Was meinst du, wer unsere Hühner geklaut
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