The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder
bleibst«, sagte Pearl. Sie zögerte, dann legte sie nachdenklich ihre Fingerspitzen ans Kinn. »Meine andere Tochter, meine Lila – sie starb letztes Jahr. Sie war Bluterin, und es gab Komplikationen. Wir beschlossen damals alle gemeinsam, dass wir den Leuten außerhalb der Mauer helfen würden, wo wir nur können. Wir hätten nicht gedacht, dass eines Tages ein Mädchen vor unserer Tür stehen würde, schon gar nicht jenes Mädchen, das das Baby der Verurteilten gerettet hat, aber so kann’s eben gehen.«
»Glaubt ihr, dass die Menschen draußen eure Tochter hätten retten können? Ist das der Grund?«, fragte Gaia leise.
Pearl schüttelte den Kopf. »Nein. So einfach ist das nicht. Wir wollen einfach nicht, dass irgendeine andere Familie das durchmachen muss, was wir durchmachen mussten.«
Mace krempelte seine Ärmel hoch. »Wir denken eine Generation voraus, wenn du verstehst, was ich meine. Für die ganze Enklave, wie man es von uns erwartet. Unsere Familie trägt das rezessive Gen, das zur Bluterkrankheit führt, und daher, na ja …« Er verstummte. »Das tut jetzt nichts zur Sache.«
»Nein, bitte. Ich möchte es hören.«
Sie sah, wie Mace und Pearl sich einen Blick zuwarfen. Dann ließ Pearl sich schwer auf einen Schemel sinken.
»Es sind mittlerweile zu viele von uns, die Hämophilie weitervererben«, sagte sie. »Überall in der Enklave gibt es Kinder wie Lila, und ihre Familien trauern um sie. Ich weiß nicht, ob wir noch Massen von Kindern vorbringen lassen müssen, oder ob wir einfach die Tore permanent öffnen sollten, aber es ist an der Zeit, mit den Menschen vor der Mauer zusammenzugehen. Sie sind diejenigen, die uns schlussendlich retten werden.«
»Dir ist klar, dass unsere Worte diesen Raum niemals verlassen dürfen«, mahnte Mace und sah Yvonne eindringlich an.
»Ich weiß, Daddy. Ich hab nichts gehört.«
»Habt ihr mitbekommen, dass heute eine Gruppe Mädchen verhaftet wurde?«, fragte Gaia.
»Sie wurden nicht verhaftet. Sie wurden zu einer speziellen Schule gebracht«, sagte Pearl. »Ein paar Jungen brachte man auch dorthin.«
»Und weshalb suchte man sie aus?«
»Sie hatten alle ein bestimmtes Sommersprossenmuster auf den Knöcheln«, sagte Pearl.
»Oh nein«, stöhnte Gaia. Sie schloss die Augen und barg das Gesicht in ihrer Hand. »Es hat angefangen«, flüsterte sie. Die Enklave hatte bereits Konsequenzen aus dem gezogen, was sie ihnen erzählt hatte. Es war ihre Schuld! Sie sah wieder auf und blinzelte. »Sie werden mehr und mehr kontrollieren«, sagte sie. »Wen man heiratet. Wer seine Kinder behalten darf. Merkt ihr es nicht? Wir müssen sie aufhalten.«
Mace stieß ein Lachen aus. »Du machst dir zu viele Sorgen.«
»Nein«, widersprach sie und trat näher an den Tisch. »Wir müssen sie aufhalten, bevor es außer Kontrolle gerät.« Ihre Gedanken überschlugen sich. »Die Mauer muss weg.«
Mace hob abwehrend die Hand. »Niemand reißt hier irgendwelche Mauern ein«, sagte er ruhig.
»Ich versteh das nicht«, sagte Yvonne. »Was haben die Sommersprossen damit zu tun, wen man heiratet?«
Gaia beugte sich zu Yvonne herab, um auf Augenhöhe mit ihr zu sprechen. Sie zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. »Die Sommersprossen beweisen, dass jemand in meinem Viertel von Wharfton geboren wurde. Das ist alles. Und aus irgendeinem Grund sind diese Leute dem Protektor sehr wichtig, wichtig genug, um sie abzuholen.«
»Und du glaubst, dass er Experimente mit ihnen anstellt oder so?«, fragte Yvonne mit großen Augen.
Gaia wusste nicht, was sie ihr antworten sollte, und sah zu Pearl.
»Nein«, beruhigte Pearl Yvonne und legte ihre Hände auf die Schultern des Mädchens. »Das würde er nicht tun. Gaia war gerade etwas aufgeregt, aber sie rät nur drauflos, nicht wahr, Gaia?«
Gaia sah dem Mädchen in die großen, ernsten Augen. Die Wahrheit war, sie wusste nicht, wie der Plan des Protektors aussah, aber sie war sich sicher, dass er einen hatte und dass sie die ganze Zeit ein wichtiges Puzzlestück übersah. »Ich glaube«, sagte Gaia und traf eine Entscheidung, »dass ihr mir besser helft, auf die andere Seite der Mauer zu kommen. So bald wie möglich. Ich will euch nicht in Schwierigkeiten bringen.«
»Nein«, sagte Pearl. »Ich halte nichts von diesem ganzen Reißt-die-Mauer-ein-Gerede, aber du musst hier bei uns bleiben. Hier bist du in Sicherheit und kannst dir in Ruhe überlegen, was du tun wirst. Es besteht kein Grund zur Eile. Was immer du brauchst, wir können dir
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