The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume
Schnallenstiefel. Keiner von ihnen sah aus wie Jack – der Kopf des Bewusstlosen aber war in Bandagen gewickelt.
Gaia eilte die Stufen hinab, auf das Pferd des Gefangenen zu. Doch sein Gesicht lag am Hals des Pferdes, sodass sie nur ein Stückchen schwarzen Bart erkennen konnte. Sie wollte schon die Hand nach ihm ausstrecken, doch Peter hinderte sie daran.
»Warte, junge Dame. Er könnte krank sein.«
Gaia wandte sich an die Matrarch. »Bitte, Mylady. Vielleicht braucht er Hilfe.«
»Sag mir, was du siehst, junge Gaia.«
»Wenn Ihr gestattet«, lenkte Peter ein. Er hob den Mann leicht an und drehte sein Gesicht. Eine Fliege stieg von der Nase des Toten auf, und aus seinem Mund tropfte dunkles Blut. Wenigstens war es nicht Jack.
»Er ist tot, Mylady«, sagte Gaia. »Schon seit einiger Zeit.«
Peter nahm die Zügel des Pferds, auf dem er lag. »Ich bringe ihn zu Will.«
»Tu das. Und sobald ihr fertig seid, wünsche ich einen ausführlichen Bericht«, sagte die Matrarch. »Munsch, Leeds. Bringt diese Leute ins Gefängnis. Ich komme gleich nach. Dominik?«
Der Mann der Matrarch brachte bereits ihre Kutsche.
»Möchtest du mich nicht begleiten, diesen Leichnam abliefern?«, fragte Peter.
Sie warf dem Grenzreiter einen überraschten Blick zu. Tief in seinem Bart verbarg sich ein müdes, aber gewitztes Grinsen, das sie misstrauisch machte.
»Das ist ein ungewöhnliches Angebot.«
»Ich könnte etwas Hilfe gebrauchen.«
»Das bezweifle ich.«
»Ich stinke dir wohl zu sehr – das ist es doch, nicht wahr?«
Sein gelassener Tonfall überrumpelte sie, und fast hätte sie sein Lächeln erwidert. Seine Augen unter der Hutkrempe wirkten gleichermaßen einladend wie reserviert, als hätte er ihre Ablehnung schon erwartet. Sie warf einen Blick zurück zur Veranda, wo die übrigen Ladys sich wieder ihren Strickarbeiten und ihrem Eistee widmeten. Die Gefangenen und die Matrarch verschwanden Richtung Gefängnis.
Da erst wurde ihr wirklich bewusst, dass sie frei war – sie konnte gehen, wohin sie wollte. Einen Moment lang kam sie sich verloren vor. Sollte sie den anderen folgen, um im Hof des Gefängnisses nach Leon Ausschau zu halten?
»Junge Dame?« Peter wartete auf Antwort.
Es war so lange her, dass sie sich mit jemandem außerhalb des Mutterhauses unterhalten hatte. Ein kleiner Spaziergang zu Wills Scheune wäre vielleicht ein guter Anfang. Peter hielt ihr die Zügel seines Pferdes hin.
»Also schön. Los geht’s, Spider.«
»Du erinnerst dich noch an seinen Namen.«
»Er war mein erstes Pferd überhaupt.«
Das große Tier folgte ihr fügsam, und Peter führte das Pferd mit dem Toten.
»Ich war mir nicht sicher, ob du dich überhaupt noch erinnerst.«
Sie dachte zurück an jenen Tag. Der Sumpf hatte wie ein zweiter Himmel unter dem Horizont ausgesehen, und Peters Arme hatten sie und Maya beschützt. All das war er – und er war der Mann, der sie in den Staub gezwungen hatte. Aus heutiger Sicht konnte sie ihm wohl kaum mehr vorwerfen, dass er der Matrarch bedingungslos gehorcht hatte.
»Ich erinnere mich an eine ganze Menge«, sagte sie. »Danke, dass du mich und Maya gerettet hast. Ich bin dir sehr dankbar.«
»Ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, sagte er. »Die erste Zeit hier soll dir sehr schwergefallen sein.«
»Das«, erwiderte sie, »ist wahrscheinlich die Untertreibung des Jahres.«
»Geht es dir denn jetzt besser?«
Sie scharrte mit den Schuhen im Straßenstaub. »Wie du siehst, bin ich wieder draußen.«
»Wann hat deine Zeit der Besinnung geendet?«
»Heute. Gerade eben.«
»Eben erst? Wirklich? Was für ein Timing.«
Die Bäume neigten sich über sie und verschränkten ihre Äste schützend ineinander. In der Luft lag abwechselnd der Duft von Honig und Heu und der wilde Geruch der Pferde, Zikadenzirpen wanderte unsichtbar von Ast zu Ast. Gaia nahm das alles in sich auf. Selbst die ungepflasterte Straße fühlte sich unter den dünnen Sohlen ihrer neuen Schuhe ganz besonders an.
»Wirst du wieder als Hebamme arbeiten?«, fragte er.
»Ich wollte mich gerade um die Kräuter kümmern, als man mich festsetzte. Dein Bruder hat mir einiges aus eurem Garten gebracht.«
»Ach ja? Viele der Kräuter stammen von meinen Patrouillenritten.«
»Ich hoffe, er hat euren eigenen Vorrat nicht zu sehr geschröpft.«
Peter lachte. Es war ein warmer, milder Klang. »Wir haben genug davon. Suchst du noch nach etwas Bestimmtem?«
»Herzspannkraut«, sagte sie. »Und Hirtentäschel und Lobelien.
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