The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume
meine Schwestern. Sagt ja!«
Die Frauen antworteten wie mit einer Stimme, laut und machtvoll, und Gaia konnte über ihre Einigkeit nur staunen. Auf den Ruf folgte Stille, dann leises Gemurmel, das in Wellen durch die Menge wanderte. Norris’ Gesicht war finsterer denn je, und die Männer, ausgeschlossen von der Beratung, schauten einander an, als ginge ihnen eben erst ihre Zahl auf. Wahrscheinlich waren sie noch nie zuvor Zeugen einer Abstimmung gewesen, und es musste sie selbst überraschen, wie viele sie waren, an die tausendachthundert.
Merkt die Matrarch das denn nicht? , fragte sich Gaia.
Leon hob den Kopf und studierte die Menge hinter der Tribüne.
»Wir stehen vor einem Problem«, hörte man die Matrarch sagen. »Wir sind immer davon ausgegangen, dass Krims deshalb bei den Spielen zugelassen sind, weil der Krim dadurch seine Freiheit erlangen kann.« Sie lächelte. »Wir haben bloß nie damit gerechnet, dass es wirklich passieren könnte.«
Sie erntete Gelächter für diese Bemerkung.
»Vlatir ist vor zwei Monaten zu uns gekommen, aus der Enklave, südlich von hier«, fuhr sie fort. »Er reagiert gewalttätig auf die kleinste Provokation. Er rebelliert bei jeder Gelegenheit. Er lässt sich nicht maßregeln. Aber ihr solltet auch wissen, dass er keines Verbrechens für schuldig befunden wurde. Ihr habt ihn heute auf dem Spielfeld gesehen, falls das irgendetwas über ihn aussagt. Es liegt bei euch. Wir können diesen Neuankömmling in Sylum willkommen heißen und ihm die Rechte eines Siegers zusprechen – oder wir können ihn ablehnen, mit den anderen Krims unter Bewachung lassen, und den Zweiten, Chardo Peter, zum Sieger erklären. Wie entscheidet ihr?«
Eine aufgeregte Diskussion entspann sich, sowohl unter den Frauen vor der Tribüne als auch unter den Männern. Leon stemmte eine Faust in die Hüfte und ließ die Matrarch nicht aus den Augen. Seinem Gesicht war nicht anzusehen, was ihm durch den Kopf ging. Es wunderte Gaia, dass er sich nicht verteidigte. Dann überlegte sie, ob sie das nicht tun sollte.
In ihrer Kehle hatte sich ein Knoten gebildet. Sie entdeckte Will in der Menge, der unmerklich Richtung Leon nickte und ihr die gleiche stille Frage zu stellen schien. Sie musste handeln – das wusste sie. Doch was sollte sie tun?
Die Matrarch wandte sich erwartungsvoll den Frauen zu und hob ihre Hand. Alle Geräusche verstummten.
»Habt ihr eine Entscheidung gefällt?«, fragte sie.
»Ja!«, riefen die Frauen.
»Wartet!«, rief Gaia.
Verblüffte Gesichter wandten sich ihr zu. Sie bahnte sich ihren Weg durch die Menge.
»Wartet«, wiederholte Gaia. »Ich bitte euch, Mylady.«
»Dies ist nicht die rechte Zeit, junge Gaia«, sagte die Matrarch.
»Ich habe nur eine Sache zu sagen«, erklärte Gaia. »Leon Vlatir ist ein guter Mann. Ein tapferer Mann. Er hat einen weiten Weg hinter sich und verdient Sylums Gastfreundschaft, nicht sein Gefängnis.« Sie hob ihre Stimme. »Die Matrarch hat mir versprochen, ihn heute Abend freizulassen. Ihr könnt das jetzt wahr werden lassen – erklärt ihn zum Sieger!«
Gemurmel breitete sich aus, dann vereinzelt mildes Lachen. Machten sie sich etwa über sie lustig? Gaia warf einen Blick zu Leon, der ernst und schweigend wartete und sie nach wie vor nicht anschaute.
»Es scheint, als habe er eine Fürsprecherin. Und es ist wahr: Ich habe gesagt, ich würde ihn freilassen – jedenfalls bis man ihn wieder einsperren muss. Und das wird wohl jeden Augenblick der Fall sein, wenn er so weitermacht.« Die Matrarch erntete Gelächter. »Um das abzukürzen, meine Schwestern, entscheidet nun, ob er Sieger oder Krim sein soll. Wer ablehnt, Vlatir die Rechte des Siegers zuzusprechen, antworte mit Nein.«
»Nein«, sagten einige Frauen im Chor, und Gaia versuchte abzuschätzen, wie viele es gewesen hatten. Mehr als die Hälfte?
Die Matrarch hob wieder die Hand. »Und jene, die dafür sind, antworten mit Ja.«
Gaia hob ihre Stimme, um mit dem zweiten Chor zu antworten. »Ja!«, schallte es vom Spielfeld und bis weit auf den Sumpf hinaus, und Gaia erkannte sofort, dass es lauter gewesen war. Erleichtertes Lachen brach sich unter den Männern Bahn. Die Krims an ihrem Ende des Felds jubelten.
Ein schwaches, angespanntes Lächeln huschte über Leons Lippen. Dann trat er vor.
Dominik sagte etwas zur Matrarch, und sie hob abermals die Hand, um für Ruhe zu sorgen. Es brauchte einige Zeit, bis der Lärm sich wieder legte.
»Nun, Vlatir?«, fragte sie. »Hast du uns jetzt
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