The Doors
Psychiatrie versetzte. Der Sänger stand an einer Straßenecke, mit speckigen Klamotten, mit offenen Wunden, an denen er kratzte, ohne es zu bemerken, und unterhielt sich mit jemandem, der gar nicht da war; in jedem dieser gebrochenen Songs gab es eine Erinnerung an das, was hätte sein können, eine Verdammung dessen, was hätte sein sollen, denn es war nur noch das übrig, was es nie gegeben hatte.
Neben Moby Grape waren da noch die Great Society, die auf Love Is the Song We Sing – es ist mir peinlich, diese Formulierung schon wieder in die Tastatur tippen zu müssen – mit einer Performance vertreten sind, die 1966 im Matrix aufgenommen wurde, zu einer Zeit, als Grace Slick ein Gelegenheitsmodel und eine Vollzeit-Bohemienne war, die sich von einer wagemutigen Band begleiten ließ. Mit Jefferson Airplane sollte sie »Somebody to Love« ein Jahr später überall in den USA zu einem Riesenhit machen: Die Aufnahme war ein einziger Triumph, ein sich in die Höhe schwingendes Entkommen. Ein Jahr zuvor war der Song lediglich die Paradenummer einer in den Ballrooms von San Francisco fast nie als Hauptattraktion auftretenden Band: eine beängstigende, furchterregende Herausforderung. »Someone to Love«, wie es damals noch hieß, war ein von seinen Jahrmarktsmetaphern befreites »Like a Rolling Stone«: Was macht man, wenn man plötzlich auf sich allein gestellt ist, wenn man niemanden kennt? Stirbt man zugedröhnt und als Opfer einer Gruppenvergewaltigung in einem versifften Nachtquartier abseits der Haight Street, oder lebt man ein neues Leben? Die Band entwickelt ein unerbittliches rhythmisches Abzählen, um die Spannung – den Druck – zwischen den Refrains und den sich anschließenden Strophen zu erhöhen, ein Riss, der sich unter den Füßen der Musiker aufzutun scheint, und Slick kommt jedes Mal empörter daraus hervor, angewidert, voller Verachtung für jeden, der nicht den Mumm hat, der Wahrheit ins Auge zu schauen, der sich nicht traut, die Vergangenheit abzuschütteln und nicht mehr zurückzublicken. Es ist atemberaubend: Du bist in diesen kleinen, zwielichtigen Schuppen spaziert, und da ist diese nett aussehende Person auf der Bühne und droht dir eine Art spirituelle Todesstrafe an, und dann verwandelt sie dich in eine Jury, die dich für schuldig erklärt.
In der Musik ist ein düsterer, hasserfüllter, bedrohlicher Unterton zu vernehmen – wenn Slick sagt, »the garden flowers all are dead«, dann sind diese Blumen tatsächlich tot. Dieser unheilverkündende Beiklang fehlt in der Musik, die die anderen Bands damals machten. Nur die Great Society ließen ihn an die Oberfläche kommen, ein paar Monate lang, elektrisiert von der Gelegenheit, eine Frage zu stellen, die niemand beantworten mochte: Wie gelangt man von hier nach nirgendwo?
Das Ganze war so etwas wie eine unbekümmerte Prophezeiung. Die Great Society – die sich auf den Plakaten manchmal auch als »Great!! Society!!« ankündigen ließen – wollten die schlimmen Antworten nicht hören: Wer wollte das schon? Doch diese Antworten waren in ihrer Musik enthalten, und vieles vom sagenumwobenen »San Francisco Sound« kann man heute als einen Versuch hören, genau die Art von Geschichten abzuwehren, die implizit in der Musik enthalten war, wie sie Moby Grape, Skip Spence, die Great Society und die Doors zu jener Zeit machten. Mir fällt dabei ein inzwischen vergessener Roman eines gewissen Wayne Wilson ein. Er kam 1990 heraus und trägt den Titel Loose Jam; wenn ich mir Skip Spence, Grace Slick oder die Doors anhöre, muss ich unwillkürlich an Wilsons Roman denken.
In Morro Bay, einer Kleinstadt knapp dreihundertzwanzig Kilometer südlich von San Francisco, sitzt ein Mann namens Henry, ein übergewichtiger Typ mit schütterem Haar, in einem miesen, schlecht bezahlten Job fest, was jemandem, der auf die vierzig zugeht, eigentlich peinlich sein müsste, doch er beklagt sich nicht. Eines Tages taucht sein alter Freund Miles bei ihm auf. Miles – Henrys beinamputierter Vietnam-Kumpel und früherer Bandleader, eine ehemalige »Stimme einer Generation« – stellt Henrys Leben völlig auf den Kopf, ohne es zu beabsichtigen. Dieser Miles schlägt einen nicht in den Bann, nein, er ist eher lästig – und der Leser möchte, noch mehr als Henry, dass er sich wieder vom Acker macht. Was einen in den Bann schlägt, ist die Art und Weise, wie die Erzählung von geordneten, strukturierten Vorkommnissen unerbittlich ins Chaos abgleitet, eine Entwicklung,
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