The Doors
einen gleich zu Anfang aus der Fassung. Es könnte ein Schlaf gemeint sein, aber auch eine Überdosis, verabreicht vom Sänger oder von der Person, an die er sich in dem Song wendet. Es könnte ein Mord sein, ein Selbstmord, vielleicht auch ein Selbstmordpakt – oder einfach nur ein Betrunkener, der gleich ohnmächtig wegsacken wird. Vom Anfang bis zum Ende – während die Musik die ganze Zeit über schwebend dahintreibt – präsentiert Morrison die Situation mit vollkommenem Gleichmut. Er hebt seine Stimme nur ein einziges Mal, gegen Ende, als er den Titel des Songs singt, so als hätte er ihn erst in diesem Moment entdeckt: »the crystal ship«, die vollkommene Metapher, das Geisterschiff des Herzens.
Morrisons Stimme klang nie zurückhaltender, nie voller. Er war nie ein Soulsänger – die Skepsis eines Menschen, der über alles nachdachte, der alles gründlich durchdachte, hinderte ihn daran –, doch hier stellte er sich den Stufen des Songs, Stufen, die aus Bildern und Tönen, vor allem aber aus der Melodie bestanden, und er vertraute darauf, dass diese Stufen ihn an einen Ort führten, an dem zu sein sich lohnte, auch wenn nicht klar war, wo dieser Ort sein mochte. »Manchmal erfinde ich Wörter, nur um die Melodie nicht zu vergessen, die ich gerade höre«, sagte Morrison einmal – und hier kann man hören, wie das vor sich geht.
Innerhalb dieses sanften, trostvollen, wunderschönen Songs lauerte das, was Raymond Chandler »the big sleep« und was Ross Mcdonald »the chill« nannte: Es lehnte sich lasziv auf dem Bett zurück, spazierte splitternackt durch die Räume des Songs, so wie Evan Rachel Wood in Todd Haynes’ 2011 herausgekommener Verfilmung von James M. Cains Roman Mildred Pierce . Der Tod war in »The Crystal Ship« weniger nah – und überzeugender – als in »End of the Night«, dem drittletzten Track von The Doors . »End of the Night« lieferte einen prachtvollen Rahmen für William Blakes Zeilen »Some are born to sweet delight / Some are born to endless night« – tatsächlich so prachtvoll, dass man auf den Gedanken kommen konnte, der Song sei nur geschrieben worden, um diesen Rahmen zu schaffen. Die Band ließ Blakes Zeilen im Sound widerhallen, aber nicht im Herzen, so wie es diese Zeilen fast dreißig Jahre später taten, als der von Gary Farmer gespielte Nobody sie in Jim Jarmuschs Dead Man aussprach, und das Ziel, das »The Crystal Ship« ansteuerte, war einzig und allein das Herz.
2007 eröffnete das New Yorker Whitney Museum of American Art anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des »Summer of Love« eine Retrospektive mit dem Titel Summer of Love – Art of the Psychedelic Era . Ein voluminöser Ausstellungskatalog, auf dessen Umschlag die magischen Worte in einem typisch psychedelischen, unleserlichen Design prangten, erinnerte an jene glücklichen Tage, als Tausende nach San Francisco pilgerten, um sich von der Polizei verprügeln zu lassen, um in den Straßen zu tanzen und Drogen zu kaufen, um vergewaltigt und beklaut zu werden, um sich wunderbare Musik anzuhören. Rhino Records veröffentlichte im selben Jahr Love Is the Song We Sing , einen 4- CD -Set, der den »Sommer der Liebe« wiederauferstehen ließ, indem er einen Haufen überwiegend lausiger Singles versammelte, die Bands aus der Bay Area von San Francisco in der psychedelischen Ära auf Vinyl gebannt hatten. In diesem Umfeld wäre nichts deplatzierter gewesen als der weite Horizont, die Erhabenheit, die Ruhe der Doors.
Die Musik aus San Francisco hatte einen weichen Kern – Jefferson Airplane verteilten Buttons, auf denen JEFFERSON AIRPLANE LOVES YOU stand, und die Grateful Dead glaubten keineswegs an den Tod: Die Musik aus San Francisco glaubte an Happy Ends. Es gab allerdings Ausnahmen. Das 1967 erschienene Debütalbum von Moby Grape – eine Band, die beinahe aus der Stadt gejagt worden wäre, weil sie gegen das in der Boheme obligatorische Armutsgelübde verstieß, als sie einer gigantischen Werbekampagne von Columbia Records zustimmte – enthielt die Warnungen von »Lazy Me« (»I’ll just lay here, and decay here«) und die zunehmenden Zweifel von »Indifference«: die Verheißung von Haight-Ashbury, genau an dem Punkt, als diese sich in einen Fluch zu verwandeln begann. Zwei Jahre später folgte der Zusammenbruch des Moby-Grape-Leaders Skip Spence, mit Oar , einem konfusen, kaputten, manisch-depressiven Reisebericht, der den Zuhörer mal ans Lagerfeuer und mal in die geschlossene Abteilung der
Weitere Kostenlose Bücher