The Forest - Wald der tausend Augen
Außen gekommen. Während ich dasitze und in die Flammen starre, weiß ich im tiefsten Inneren, dass ich mir das immer gewünscht habe, obwohl mir das bis jetzt nicht klar gewesen ist.
Der Außenseiter ist meine Entschuldigung, dieses Dorf zu verlassen. Jetzt, da es einen Beweis gibt, jetzt, da unser ganzes Dorf erfahren wird, dass es mehr gibt, dass wir keine Insel mehr sind, jetzt ist die Zeit für uns gekommen, die Verbindung mit der Außenwelt wieder aufzunehmen.
Nichts wird unser Dorf noch länger in seinen Grenzen
halten können, wenn die Nachricht vom Außenseiter die Runde macht. Und ich gehe als Erste durchs Tor. Ich führe unsere Leute ans Meer. An den Ort, der unberührt ist von den Ungeweihten.
8
D rei Tage vergehen und ich verzweifele. Kein Wort ist über den Außenseiter gesagt worden, nicht ein einziges. Völlig frustriert will ich schließlich Travis besuchen, aber Schwester Tabitha steht auf dem Flur vor seiner Tür und sagt mir, er habe wieder Fieber und sei verlegt worden. Besuche sind nicht erlaubt, man befürchtet, er ist nicht kräftig genug, weiteren Infektionen zu widerstehen. Ich darf ihn erst sehen, wenn sie sich sicher sind, dass es ihm gut geht.
»Ihr beide dürft nicht der Grund dafür sein, dass wir in diesem Winter alle krank werden, Mary«, sagt sie.
Ich gucke über ihre Schulter hinweg in Travis’ leeres Zimmer. »Wo ist er?«, frage ich. Ich finde, ich habe ein Recht, das zu wissen.
»Er ist versorgt«, antwortet sie. »Und er ist nicht dein Patient.« Sie schaut mich von oben herab an und runzelt die Stirn. »Mary.« Ihr Ton ist hart, autoritär. Dann hält sie inne und legt einen Finger an die Lippen, als überlege sie, was sie als Nächstes sagen soll. »Mary, du bist wissbegierig, und das kann eine gefährliche Eigenschaft sein.
Was glaubst du denn, was uns hierher gebracht hat? Was glaubst du, ist verantwortlich für die Rückkehr und die Ungeweihten?«
Meine Atmung ist flach. Schon bevor ich zu der Lichtung im Wald geführt wurde, habe ich mich vor Schwester Tabitha gefürchtet, der ältesten Schwester, der Oberin der Schwesternschaft. »Ich … ich … ich«, stammele ich. »Ich dachte, wir würden die Ursache für die Rückkehr nicht kennen.«
Wieder einmal staune ich über das Wissen, das die Schwestern besitzen, und wir anderen nicht. Schließlich sind sie seit der Rückkehr die einzige Konstante, jedenfalls erzählt man uns das. Sie waren die treibende Kraft hinter dem Dorf, sie haben die Wächter erschaffen, und sie sind der Grund, dass wir immer noch existieren und immer noch alle leben.
Ihr Wort ist das Wort Gottes, das nicht in Frage gestellt werden darf. Sie sind es, die uns in der Schule unterrichten, die uns sagen, dass es nur noch uns auf der Welt gibt und die Zeit der Rückkehr hinter uns liegt und in unserer neuen Welt unwichtig ist. Sie sind es, die uns lehren, ihre Verkündigungen nicht zu hinterfragen und unser Überleben nach der Rückkehr und die neue Welt, die sie für uns aufgebaut haben.
So wie Schwester Tabithas Lächeln stelle ich mir das einer Mutter vor, die über ihr Kind und seine Eigenheiten schmunzelt. »Wir wissen genug.« Sie nimmt meinen Arm und zieht mich mit in Travis’ altes Zimmer. Ihr Griff ist fest, schmerzt aber nicht. Sie führt mich zum
Fenster und wir schauen hinaus auf die Zäune und den Wald.
»Die genaue Ursache für die Rückkehr mag rätselhaft sein, aber wir wissen, dass sie versucht haben, Gott zu betrügen. Den Tod zu betrügen. Versucht haben, Seinen Willen zu ändern.« Sie streckt die Hand Richtung Wald aus. Wie immer zerren die Ungeweihten am Maschendraht. »Und so etwas passiert, wenn man gegen Gottes Willen handelt. Das ist seine Rache. Das ist unsere Strafe.«
Sie spricht mit so viel Autorität und Inbrunst. Ihre Hand hat sie jetzt zur Faust geballt und sie hämmert auf das Fenstersims, um ihren Standpunkt zu unterstreichen.
»Du musst immer daran denken, dass du jetzt für Gott lebst, Mary.Wir leben alle für Gott. Nur durch seine Gnade überleben wir.« Mit wilder, beinahe verzweifelter Miene wendet sie sich zu mir um. »Denk immer dran, wo wir herkommen, Mary. Wo wir alle herkommen. Nicht aus dem Garten Eden, sondern aus der Asche der Rückkehr. Wir sind die Überlebenden.« Sie packt meine Schultern und schüttelt mich. »Wir müssen weiterhin überleben. Und ich werde nicht zulassen, dass dieses Ziel irgendwie gefährdet wird.«
Als ich ihr in die Augen sehe, weiß ich, dass sie nicht zögern wird,
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