The Forest - Wald der tausend Augen
du sicher?«
»Es ist hin«, sagt Jed nur. »Wir können nicht zurück.«
Ich kann sehen, wie sich Harrys Kiefermuskeln anspannen. An diesen Gesichtsausdruck erinnere ich mich noch so gut aus Kindertagen, wenn er zugeschaut hat, wie die älteren Jungs herumtollten und Wächter spielten. Ich weiß, dass er sich fragt, ob seine Gegenwart im Dorf etwas geändert hätte, ob er ein Feigling ist, weil er durch das Tor entkommen ist.
»Dann bleibt uns also nur der Pfad«, sagt Travis. Einen
nach dem anderen schaut er uns alle an, und mir scheint, mich sieht er länger an als die anderen.
Wir schweigen, dann sagt Harry: »Wir haben noch ein paar Vorräte, die Mary und ich aus dem Dorf mitgebracht haben. Und zwei Wasserschläuche. Die haben wir mitgenommen, als wir gestern Morgen die Sirenen hörten.«
»Reicht das denn?«, fragt Cass. Sie hat Jakobs Kopf an ihre Brust gedrückt und hält ihm die Ohren zu, damit er unser Gespräch nicht mit anhört.
»Auf dem Pfad gibt es Vorräte und Waffen«, sagt Jed mit ruhiger Stimme.
Harry reagiert als Erster. »Wie das? Warum sollte …? Versteh ich nicht«, sagte er schließlich.
Jed atmet tief durch. »Die Schwesternschaft. Von Anfang an, seit der Zeit nach der Rückkehr haben sie die Wächter angewiesen, den Pfad zu sichern und dort Vorräte zu lagern, falls es einen Durchbruch geben sollte. Unsere Vertreibung aus dem Dorf war kein ganz unvorhersehbares Ereignis. Die Wächter haben Vorbereitungen für diesen Fall getroffen.«
»Aber ich bin ein Wächter und ich habe nichts davon gewusst.«
»Du wurdest gerade von den Wächtern angelernt«, sagte Jed.
Harrys Kopf wird rot. »Mein Vater war der Hauptmann der Wächter und er hat nichts davon gesagt!« Jetzt brüllt Harry und das regt die Ungeweihten links und rechts an den Zäunen auf, das Gestöhn schwillt an.
Er wirft mir einen Blick zu, seine Brust hebt und senkt
sich schwer. »Du hast der Schwesternschaft angehört. Hast du davon gewusst?«
»Die Schwestern hatten Geheimnisse«, sage ich. »Und es sieht ganz so aus, als hätten die Wächter auch welche gehabt.« Ich kann den anderen nicht in die Augen sehen, als ich das sage.Wir haben alle Geheimnisse.
Harry rauft sich die Haare, seine Wangenknochen wirken im Morgenlicht besonders markant. »Sie verbieten uns diesen Pfad und doch bewahren sie hier Vorräte auf? Hätten wir das je erfahren?«
Jed zuckt die Achseln. »Was spielt das für eine Rolle?«, fragt er.
Harry schweigt eine Weile. »Und wo führt der Pfad hin? Wenn du von den Vorräten weißt, warum kannst du uns dann nicht sagen, wo er hinführt?«
»Weil ich zwar zum Wächter gewählt wurde, aber nicht der Gilde angehörte. Ich glaube, nicht mal die Gilde wusste das. Die Schwesternschaft behält dieses Wissen für sich.Wir tun nur, was sie uns aufträgt.« Jed wendet sich an mich. »Da war ich an dem Tag, an dem unserer Mutter sich … angesteckt hat. Ich war draußen auf den Pfaden und habe die Vorräte kontrolliert und überprüft, ob die Zäune noch halten. Deshalb konnte ich nicht kommen vor ihrer … Wandlung.«
Ich denke zurück an meinen ersten Tag bei den Schwestern, an den geheimen Tunnel unter dem Münster, der zu der Lichtung mitten im Wald führte. An den kleinen Raum, in dem die Schwestern Gabrielle versteckt gehalten hatten. Und wieder frage ich mich, was hinter den anderen
dicken Türen gelegen haben mag.Waren dort auch Zimmer verborgen oder Tunnel, die zu anderen Pfaden führten? Vielleicht hatten die Schwestern und die Wächter, die im Münster eingeschlossen waren, jetzt schon ihren Weg aus dem Dorf heraus gefunden und einen Neuanfang gemacht.
Nachdem sie uns andere zum Sterben zurückgelassen hatten.
»Die Schwestern und die Wächter spielen keine Rolle mehr«, unterbricht Jed meine Gedanken. »Es ist nur wichtig, dass wir auf diesem Pfad überleben können. Eine Zeitlang zumindest. Aber wir müssen jetzt aufbrechen.«
Harry ist immer noch sauer. Er verteilt die Vorratsbeutel und sagt: »Da ich hier der Einzige bin, der eine Waffe trägt, übernehme ich die Führung.« Dann ruft er Argos bei Fuß, und die beiden stiefeln den Pfad hinunter, dicht gefolgt von Cass und Jakob. Travis nimmt Beths Hand und geht mit ihr, sie stützen sich aufeinander und halten sich auf der Mitte des Pfades, damit sie den bedrohlichen Zäunen nicht zu nahe kommen. Jed und ich gehen langsam hinterher.
Den ganzen Morgen wandern wir schweigend, suchen uns unseren Weg durch die Brombeeren und über abgebrochene
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