The Forest - Wald der tausend Augen
von uns rüberzubekommen, ist nicht das größte Problem. Es ist …« Ich zögere einen Moment zu lange.
»Mein Bein«, sagt er.
Ich nicke. »Und der Hund«, füge ich hinzu.
Travis lacht beinahe, aber es klingt dann doch eher wie ein Seufzen. Er streichelt Argos den Kopf. Argos schmiegt sich an Travis’ Bein und schließt die Augen voller Zufriedenheit. Der treue Gefährte.
An die Tür gelehnt, die Hände hinter mir, drehe ich mich zu den beiden um. »Ich werde dich nicht verlassen«, sage ich.
»Ich weiß«, antwortet Travis.
»Das klingt so, als würdest du mir nicht glauben«, sage ich.
»Ich weiß«, sagt er. »Aber das tu ich.«
»Wir werden einen Weg finden, hier rauszukommen.«
Ich will schon zu ihm gehen und seine Hände nehmen,
weil mir so daran liegt, dass er mir glaubt, da sagt er: »Und was dann? Was wird danach geschehen?«
»Dann finden wir einen Weg raus aus diesem Dorf, wir laufen den Pfad entlang und finden die Welt da draußen«, sage ich in einem Wortschwall. »Es ist so, wie wir immer gesagt haben …«
Travis schneidet mir das Wort ab: »Es ist so, wie du immer gesagt hast.« Er mag mir nicht in die Augen schauen.
Ich schlucke, die Leere steigt wieder in mir auf. Mein Herz flattert in der Brust und die Atmung wird flach. Ich lasse mich gegen die Tür fallen.
»Travis, das versteh ich nicht. Genau darüber reden wir doch seit diesem Tag auf dem Hügel. Seit du im Münster warst und ich dir vom Meer erzählt habe und …« Ich zeige auf sein Bein, und er legt eine Hand auf die Stelle, an der die Wunde war.
»Weil ich gehofft hatte, dass es dich glücklich machen würde«, sagt er. »Da auf diesem Hügel, als wir uns endlich geküsst hatten, da habe ich dich mehr gewollt als irgendetwas anderes auf der Welt. Mehr als das Dorf oder die Freundschaft meines Bruders oder meiner Verlobten.« So wie er dieses Wort ausspricht, scheint es noch immer einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge zu hinterlassen.
»Ich will dich immer noch mehr als alles andere auf der Welt«, flüstert er. »Für dich würde ich immer noch alles riskieren.«
Er stützt die Ellenbogen auf den Tisch und legt den
Kopf in die Hände, seine Finger wühlen sich in sein Haar. Argos an seiner Seite winselt, verstört über diesen Ausbruch seines neuen Herrn, verstört über die plötzlich in der Luft liegende Unsicherheit.
»Und warum hast du mich dann nicht geholt?«, sage ich mit fast tonloser Stimme. Ich balle die Fäuste, die Hitze,Wut und Scham darüber, dass er nie gekommen ist und mich geholt hat, versetzen meinen Körper in Aufruhr.
Eine ganze Weile spricht er nicht. Und dann fragt er: »Weißt du überhaupt, wie ich mir das Bein gebrochen habe?« Ich schüttele den Kopf. Diese Geschichte hat er mir nie erzählt, und ich habe ihn nie danach gefragt, weil ich angenommen hatte, er würde es mir schon sagen, wenn die Zeit reif dafür wäre.
Ohne den Kopf zu heben, fährt er fort. »Das war wegen des Turms. Der alte Wachturm auf dem Hügel beim Dorf. Ich bin immer raufgeklettert und habe über den Zaun in den Wald geguckt und mich gefragt, was es noch geben mochte da draußen in der Welt.Wie konnte unser kleines Dorf denn alles sein, was noch übrig war vom einst so großen Universum? Warum sollten wir alles sein, was es noch gab? Warum sollte Gott ausgerechnet uns die Zukunft der menschlichen Rasse anvertrauen?«
Jetzt schaut er zu mir hoch. »Wir sind nicht Noah, wir sind nicht Moses.Wir sind keine Propheten.Warum wir?
Und so fing ich an, mich zu fragen, warum die Schwestern uns lehren, dass außer uns niemand mehr übrig geblieben ist. Dass der Zaun das Ende der Welt markiert.
Und ich bin immer wieder auf diesen Turm geklettert und habe meine Flucht geplant.«
Sein Blick schweift in die Ferne, als wäre er wieder im Dorf, oben auf diesem Turm. Als hätte er die alte Aussicht vor sich und würde spüren, wie der Wind seine Ohren streichelt.
»Hast du gewusst, dass Cass mir immer deine Geschichten erzählt hat, als wir noch Kinder waren? Sie hat über dich gelacht. Nicht auf eine gemeine Art, aber so wie Cass eben war, sie hat sich immer über alles lustig gemacht, bevor …« Mit einer Handbewegung beschreibt er unsere Welt ringsum.
Ich schüttele den Kopf. »Ich habe immer gedacht, Cass würde meine Geschichten nicht mögen und sie sich gar nicht merken.«
»Oh doch, ich habe sie immer angebettelt, mir deine neuesten Geschichten zu erzählen.«
»Warum hast du mich nicht selbst gefragt?«, flüstere
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