The Green Mile
Bakelithäusern beobachten.
Ich schlief ein wenig, als der Tag heller wurde – zwei Stunden, schätze ich, vielleicht drei; und ich schlief, wie ich heute hier in Georgia Pines immer schlafe und damals kaum jemals – in kleinen Etappen. Beim Einschlafen dachte ich an die Kirchen meiner Jugend. Die Namen wechselten je nach den Launen meiner Mutter und Schwestern, aber in Wahrheit waren sie alle dieselbe, alle die »Erste Hinterwäldlerkirche des Gelobten Jesus und des Allmächtigen Herrn«. Im Schatten dieser schlichten Kirchtürme tauchte der Gedanke an Buße so regelmäßig auf wie das Läuten der Glocke, die den Gläubigen zum Gottesdienst ruft. Nur Gott konnte Sünden vergeben, konnte und tat es, wusch sie fort mit dem Blut seines gekreuzigten Sohnes, aber das änderte nichts an der Pflicht seiner Kinder, für diese Sünden zu büßen (und sogar für ihre einfachsten Fehltritte), wann immer es möglich war. Buße war etwas Mächtiges; sie war der Riegel der Tür, die man vor der Vergangenheit schloss.
Ich schlief ein und dachte an die Form der Buße aus den Kiefernwäldern, an einen Eduard Delacroix, der brannte, während er auf dem Blitz ritt, an Melinda Moores und meinen großen Jungen mit den immerzu weinenden Augen. Diese Gedanken bahnten sich ihren Weg in einen Traum. Darin saß John Coffey an einem Flussufer und schrie seine wortlose, aber nicht lautlose Mondkalb-Trauer hinauf in den Himmel des frühen Sommers, während auf dem anderen Ufer ein Güterzug scheinbar endlos über eine rostige Brücke fuhr, die den Trapingus River überspannte. Auf jedem Arm hielt der Schwarze die Leiche eines nackten blonden Mädchens im Kindesalter. Seine Hände, wie riesige braune Felsen an den Enden dieser Arme, waren zu Fäusten geballt. Um ihn herum zirpten Grillen, flogen Insekten. Der Tag summte vor Hitze.
In meinem Traum ging ich zu dem Schwarzen, kniete mich vor ihn hin und ergriff seine Hände. Seine Fäuste öffneten sich und zeigten ihre Geheimnisse. In einer Hand war eine grün und rot und gelb bemalte Garnspule. In der anderen war der der Schuh eines Gefängniswärters.
»Ich konnte nichts dafür«, sagte John Coffey. »Ich habe versucht, es aufzuhalten, aber es war zu spät.«
Und diesmal, in meinem Traum, verstand ich ihn.
8
Um neun Uhr am nächsten Morgen, während ich in der Küche meine dritte Tasse Kaffee trank (meine Frau sagte nichts, aber ihre Missbilligung stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie mir die Tasse brachte), klingelte das Telefon. Ich ging in ins Wohnzimmer und nahm den Hörer ab. Die Vermittlung sagte mir, dass jemand in der Leitung sei. Dann wünschte sie mir einen wunderschönen Tag und schaltete sich aus der Leitung … vermutlich. Bei den Telefonistinnen der Vermittlung konnte man sich nie ganz sicher sein.
Hal Moores’ Stimme erschütterte mich. Sie klang zitternd und krächzend wie die eines Achtzigjährigen. Mir kam in den Sinn, dass es gut war, dass die Dinge in der vergangenen Nacht im Tunnel mit Curtis Anderson gut gegangen waren, gut, dass er genauso über Percy dachte wie wir, denn der Mann, mit dem ich am Telefon sprach, würde wahrscheinlich nie wieder einen Tag in Cold Mountain arbeiten.
»Paul, ich hörte, dass es gestern Nacht Probleme gab. Ich erfuhr auch, dass unser Freund Mr. Wetmore daran beteiligt war.«
»Ein paar kleine Probleme«, gab ich zu, drückte den Hörer fester ans Ohr und beugte mich näher an die Sprechmuschel. »Aber der Job wurde erledigt. Das ist das Wichtige.«
»Ja. Natürlich.«
»Darf ich fragen, wer es dir erzählt hat?« Damit ich ihm eine Dose an den Schwanz binden kann, fügte ich nicht hinzu.
»Du darfst fragen, Paul, aber weil es dich wirklich nichts angeht, werde ich meinen Mund halten. Als ich bei meinem Büro angerufen habe, um festzustellen, ob es irgendwelche Post oder dringende Arbeit gibt, hat man mir etwas Interessantes erzählt.«
»So?«
»Ja, anscheinend ist ein Versetzungsgesuch in meinem Postkörbchen gelandet. Percy Wetmore will so bald wie möglich nach Briar Ridge gehen. Er muss das Versetzungsgesuch noch vor Ende der Nachtschicht geschrieben haben, meinst du nicht auch?«
»Klingt ganz so«, pflichtete ich bei.
»Normalerweise lasse ich so etwas von Curtis erledigen, aber angesichts der … Atmosphäre in Block E in der jüngsten Zeit habe ich Hannah gebeten, es mir in der Mittagspause vorbeizubringen. Das wird sie freundlicherweise auch tun. Ich werde das Gesuch genehmigen und dafür sorgen, dass es noch
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