The Green Mile
hast du ihm gegeben?«
»Das ist sein zweites«, antwortete Delacroix und schaute etwas nervös auf Mr. Jingles’ Bauch. »Meinst du wirklich … du weißt schon …, dass er platzt?«
»Schon möglich«, meinte Brutal.
Das war für Delacroix Expertenmeinung genug. Er griff nach dem Pfefferminzbonbon, von dem nur noch die Hälfte übrig war. Ich rechnete damit, dass die Maus ihn beißen würde, aber Mr. Jingles überließ ihm sanftmütig das, was von dem Bonbon noch übrig war. Ich blickte zu Brutal, und er schüttelte ein wenig den Kopf, als wollte er sagen, nein, er könne das auch nicht verstehen. Dann ließ sich Mr. Jingles in die Zigarrenkiste plumpsen und legte sich so erschöpft auf die Seite, dass wir alle drei bei diesem Anblick lachen mussten. Danach gewöhnten wir uns daran, dass die Maus neben Delacroix saß, ein Pfefferminzbonbon zwischen den Pfoten hielt und so manierlich speiste wie eine alte Lady bei einer nachmittäglichen Teegesellschaft. Und Delacroix und Mr. Jingles waren eingehüllt in den Duft, den ich später in dem Loch im Dachbalken wahrnahm – in den halb bitteren, halb süßen Geruch von Pfefferminzbonbons.
Da gibt es noch eine Sache, die ich Ihnen über Mr. Jingles erzählen sollte, bevor ich mit der Ankunft von William Wharton weitermache, als wirklich ein Orkan über Block E hereinbrach.
Ungefähr eine Woche nach der Sache mit den Pfefferminzbonbons – also exakt zu dem Zeitpunkt, an dem wir uns sagten, dass Delacroix seinen Liebling wohl nicht zu Tode füttern würde – rief uns der Franzose zu seiner Zelle. Ich war vorübergehend allein, Brutal war aus irgendeinem Grund zur Verwaltung gerufen worden, und nach den Vorschriften durfte ich mich unter solchen Umständen keinem Gefangenen nähern. Aber weil ich an einem meiner guten Tage Delacroix beim Kugelstoßen zwanzig Meter weit geworfen hätte, entschied ich mich, gegen die Vorschriften zu verstoßen und mir anzuhören, was er wollte.
»Gucken Sie das an, Boss Edgecombe«, sagte er. »Sie gleich sehen, was Mr. Jingles tun kann!« Er griff hinter die Zigarrenkiste und zog eine kleine Garnspule ohne Garn hervor.
»Woher hast du die?«, fragte ich, obwohl ich es zu wissen glaubte. Es gab wirklich nur eine Person, von der er die Rolle bekommen haben konnte.
»Von Toot-Toot«, sagte er. »Schauen Sie.«
Ich schaute bereits zu und sah Mr. Jingles in seiner Zigarrenkiste, wie er sich aufstellte und sich mit den Vorderpfoten am Rand der Kiste stützte, die schwarzen Augen auf die Rolle gerichtet, die Delacroix zwischen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand hielt. Ich fühlte, dass es mir kalt den Rücken hinunterlief. Ich hatte noch nie gesehen, dass eine Maus etwas mit so viel Eifer – mit so viel Intelligenz – vorgeführt hatte, und ich habe es seither nie wieder erlebt. Ich kann wirklich nicht glauben, dass Mr. Jingles eine Heimsuchung des Übernatürlichen war, und falls ich bei Ihnen diesen Eindruck erweckt habe, tut es mir leid, aber ich habe nie bezweifelt, dass er ein Genie seiner Art war.
Delacroix beugte sich vor und rollte die garnlose Spule über den Zellenboden. Sie rollte ganz leicht und gleichmäßig – wie zwei Räder, die durch eine Achse verbunden sind. Die Maus war wie der Blitz aus der Kiste heraus und fitzte hinter der Rolle her wie ein Hund hinter einem Stock. Ich stieß einen Laut der Überraschung aus, und Delacroix lächelte.
Die Spule rollte gegen die Wand und prallte zurück. Mr. Jingles umrundete sie und schob sie zurück zur Pritsche, wobei er von einem Ende der Rolle zum anderen wechselte, wenn es so aussah, als würde sie vom Kurs abkommen. Er schob die Rolle bis gegen Delacroix’ Fuß. Dann blickte er auf, als wollte er sich vergewissern, dass Delacroix keine dringenderen Aufgaben mehr für ihn hatte (vielleicht das Lösen eines arithmetischen Problems oder die grammatische Analyse eines lateinischen Textes). Offensichtlich zufrieden nach dieser Runde, kehrte die Maus in die Zigarrenkiste zurück und machte es sich darin gemütlich.
»Du hast ihm das beigebracht«, stellte ich fest.
»Jawohl, Boss Edgecombe«, sagte Delacroix breit lächelnd. »Er’olt die Rolle jedes Mal. Verdammt schlau, nisch’ wahr?«
»Und die Spule?«, fragte ich. »Woher wusstest du, dass du so etwas für ihn besorgen sollst?«
»Er’at mir in die Ohr geflüstert, dass er sie will«, antwortete Delacroix mit heiterer Gelassenheit. »Genau wie geflüstert seine Name.«
Delacroix zeigte all den anderen
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