The Green Mile
mag den Regen, Schmerzen hin oder her. Besonders am frühen Morgen, wenn der Tag jung und scheinbar voller Möglichkeiten ist, sogar für einen gescheiterten alten Knaben wie mich.
Ich ging durch die Küche, schnorrte zwei Scheiben Toast von einem der noch schläfrigen Köche und ging hinaus. Ich überquerte die Krocketbahn und das kleine, überwucherte Putting-Green. Jenseits davon ist ein Gehölz, durch das ein enger, gewundener Pfad führt. Ein paar Schuppen stehen dort, die nicht mehr in Gebrauch sind und still vor sich hin modern. Ich ging langsam über diesen Pfad, lauschte auf das geheimnisvolle Prasseln des Regens in den Kiefern und mampfte mit meinen wenigen verbliebenen Zähnen ein Stück Toast. Meine Beine taten weh, aber es war nur ein leichter, erträglicher Schmerz. Sonst fühlte ich mich ziemlich gut. Ich sog die feuchte graue Luft so tief ein, wie ich konnte, nahm sie auf wie Nahrung.
Und als ich zum zweiten dieser alten Schuppen gelangte, ging ich für eine Weile hinein und kümmerte mich darin um meine Aufgabe.
Zwanzig Minuten später spazierte ich auf dem Pfad zurück. Ich spürte, wie der Hunger wie ein Wurm in meinem Magen nagte, und sagte mir, dass ich etwas Kräftigeres als Toast essen konnte. Einen Teller Haferschleim, und vielleicht sogar ein Rührei mit einem Würstchen. Ich liebe Würstchen, habe sie immer gemocht, aber wenn ich heutzutage mehr als eins esse, neige ich zu Durchfall. Bei einem geht aber alles gut. Dann, mit vollem Bauch und mit von der feuchten Luft aufgemöbeltem Verstand (hoffte ich jedenfalls), würde ich in den Wintergarten gehen und über die Hinrichtung von Eduard Delacroix schreiben. Das würde ich so schnell wie möglich tun, damit mir nicht der Mut ausging.
Ich dachte an Mr. Jingles, als ich die Krocketbahn in Richtung der Küchentür überquerte – wie Percy Wetmore die Maus zerstampft und ihr das Rückgrat gebrochen und wie Delacroix geschrien hatte, als ihm klar geworden war, was sein Feind getan hatte. Ich sah den vom Müllcontainer halb verborgenen Brad Dolan erst, als er mich am Handgelenk packte.
»Kleinen Spaziergang gemacht, Paulie?«, fragte er.
Ich zuckte zurück und riss mein Handgelenk los. Einiges war einfach auf den Schreck zurückzuführen – jeder zuckt zurück, wenn er sich erschreckt -, aber das war nicht alles. Ich hatte an Percy Wetmore gedacht, wissen Sie, und Brad erinnert mich immer an ihn. Teils liegt es daran, dass Brad wie Percy ständig mit einem Schmöker in der Tasche herumläuft (bei Percy waren es immer Abenteuermagazine; bei Brad sind es kleine Taschenbücher mit Witzen, über die man nur lachen kann, wenn man blöde und gemein ist), teils weil er sich aufführt wie König Scheiße vom Kackberg, aber hauptsächlich liegt es daran, dass er hinterhältig ist und anderen gern wehtut.
Er war gerade erst zur Arbeit gekommen und hatte noch nicht seine weiße Pflegerkluft angezogen. Er trug Jeans und ein lässig aussehendes Hemd im Westernstil. In einer Hand hielt er den Rest eines Plunders, den er in der Küche gemopst hatte. Er stand unter dem Dachvorsprung, wo er futtern konnte, ohne nass zu werden. Und wo er mich belauern konnte, da bin ich mir ziemlich sicher. Ich bin mir auch bei etwas anderem ziemlich sicher: Ich werde mich vor Mr. Brad Dolan in Acht nehmen müssen. Er mag mich nicht besonders. Ich weiß nicht, warum, aber ich wusste auch nie, warum Percy Wetmore eine Abneigung gegen Delacroix hatte. Und Abneigung ist wirklich ein zu schwaches Wort. Percy hasste Del wie die Pest von dem Moment an, als der kleine Franzose auf die Green Mile kam.
»Was ist mit dem Poncho, den du anhast, Paulie?«, fragte Brad Dolan und schnippte gegen den Kragen. »Das ist nicht deiner.«
»Den hab ich aus dem Flur vor der Küche genommen«, sagte ich. Ich hasse es, wenn er mich Paulie nennt, und ich denke, das weiß er, aber ich wollte ihm nicht die Befriedigung geben, es mir anzusehen. »Da hängt eine ganze Reihe davon. Ich mach ihn ja nicht kaputt, oder? Schließlich ist das Ding für den Regen gemacht.«
»Aber er ist nicht für dich gemacht, Paulie«, sagte er und schnippte wieder dagegen. »Das ist der springende Punkt. Diese Regenmäntel sind für die Angestellten bestimmt, nicht für die Heimbewohner.«
»Ich verstehe immer noch nicht, wo da ein Schaden entstanden ist.«
Er lächelte dünn. »Es geht nicht um Schaden, es geht um die Vorschriften. Was wäre das Leben ohne Vorschriften? Paulie, Paulie, Paulie.« Er schüttelte den
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