The Green Mile
seine Trauer und sein Entsetzen hinaus. Es ging natürlich nicht nur um die Maus; Percy hatte ein Loch in Delacroix’ innere Abwehrreihen geschlagen, und all sein Entsetzen strömte aus ihm heraus. Aber Mr. Jingles war der Brennpunkt dieser aufgestauten Gefühle, und es war schrecklich, ihn zu hören. »Oh, non «, schrie er immer wieder zwischen verstümmelten Gebeten auf Cajun-Französisch. »Oh, non, oh, non, arme Mr. Jingles, arme alte Mr. Jingles, oh, non! «
»Geben Sie ihn mir.«
Ich blickte überrascht auf und war mir erst nicht sicher, wer das mit tiefer Stimme gesagt hatte. Dann sah ich John Coffey. Wie Delacroix hatte er die Arme durch die Gitterstäbe seiner Zellentür gestreckt, obwohl er sie nur bis zur Hälfte seiner Unterarme hindurchbekam; danach waren die Arme einfach zu dick und im Gegensatz zu Del fuchtelte er nicht mit ihnen herum, sondern streckte sie, so weit er konnte, aus und hielt die Handflächen offen. Es war eine zielbewusste, fast drängende Geste. Und seine Stimme klang ebenso, was der Grund war, nehme ich an, weshalb ich sie zuerst nicht als Coffeys Stimme erkannt hatte. Er wirkte jetzt ganz anders als die verlorene, weinende Seele, die in den vergangenen paar Wochen diese Zelle bewohnt hatte.
»Geben Sie ihn mir, Mr. Edgecombe! Solange noch Zeit ist!«
Dann erinnerte ich mich an das, was er für mich getan hatte, und ich verstand. Ich sagte mir, es konnte nicht schaden, aber ich bezweifelte, dass es helfen würde. Als ich die Maus aufhob, zuckte ich bei dem Gefühl zusammen – da stachen so viele gesplitterte Knochen an verschiedenen Stellen aus Mr. Jingles’ Fell, dass er sich anfühlte wie ein fellbespanntes Nadelkissen. Das war kein Harnwegsinfekt. Aber …
»Was machst du da?«, fragte Brutal, als ich Mr. Jingles auf Coffeys gewaltige rechte Hand legte. »Was zum Teufel soll das?«
Coffey zog die Maus durch die Gitterstäbe in die Zelle. Mr. Jingles lag schlaff auf Coffeys Handfläche, der Schwanz hing zwischen Coffeys Daumen und Zeigefinger heraus, und seine Spitze zuckte schwach in der Luft. Dann bedeckte Coffey seine rechte Hand mit der linken, schuf einen Hohlraum, in dem die Maus lag. Wir konnten von Mr. Jingles nur noch den Schwanz sehen, der herabhing und dessen Spitze wie ein langsamer werdendes Pendel zuckte. Coffey hob seine Hände zum Gesicht, spreizte dabei die Finger der Rechten und schuf Zwischenräume wie zwischen Gefängnisgittern. Der Schwanz der Maus hing jetzt von der Seite seiner Hände, die uns zugewandt war. Brutal schob sich neben mich und hielt immer noch die bunte Garnrolle in der Hand. »Was meint er denn, was er da macht?«
»Pst«, sagte ich.
Delacroix hatte aufgehört zu schreien. »Bitte, John«, flüsterte er. »Oh, Johnny,’elfen ihm, bitte’elfen ihm, oh, s’il vous plaît. «
Dean und Harry kamen dazu. Harry hielt immer noch unsere alten Spielkarten in einer Hand. »Was ist los?«, fragte Dean, aber ich schüttelte nur den Kopf. Ich fühlte mich wieder wie hypnotisiert, und ich fress’nen Besen, wenn ich das nicht war.
Coffey hielt den Mund zwischen zwei seiner Finger und atmete tief ein. Die Zeit schien einen Moment lang stillzustehen. Dann hob er den Kopf von den Händen, und ich sah das Gesicht eines Mannes, der schrecklich krank war oder furchtbare Schmerzen hatte. Seine Augen blickten scharf und schienen zu lodern. Coffeys Schneidezähne bissen in seine volle Unterlippe; das dunkle Gesicht hatte die Farbe von Asche angenommen, die in Schlamm verrührt worden war. Ein erstickter Laut klang tief aus seiner Kehle.
»Allmächtiger Herr im Himmel«, flüsterte Brutal. Die Augen drohten ihm aus dem Gesicht zu fallen.
»Was?« Harry schrie fast »Was denn? «
»Der Schwanz! Siehst du das nicht? Der Schwanz! « Mr. Jingles’ Schwanz war nicht länger ein sterbendes Pendel; er schwang lebhaft hin und her wie der Schwanz einer Katze, die in Stimmung ist, auf die Jagd nach Vögeln zu gehen. Und dann ertönte aus Coffeys Handflächen ein uns allen vertrautes Quieken.
Coffey stieß wieder diesen erstickten, kehligen Laut aus und wandte dann den Kopf wie jemand, der im Mund Schleim hat, den er ausspucken will. Stattdessen atmete er eine Wolke schwarzer Insekten – ich denke, es waren Insekten, und die anderen sagten das Gleiche, aber bis heute bin ich mir nicht sicher – aus Mund und Nase aus. Sie wogten um ihn herum wie eine dunkle Wolke, hinter der seine Gesichtszüge vorübergehend verschwanden.
»Mein Gott, was sind das?«,
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