The Hollow
die Zeichnung nicht zu verschmieren. Ich zögerte, bevor ich die allerletzte Seite aufschlug, aber sie nicht anzusehen, ging auch nicht. Also zählte ich bis drei und hielt den Atem an, bevor ich hinschaute.
Wieder war es ein Porträt von mir, in Jeans und Tank Top, die Hände in die Hüften gestemmt und die Haare auf eine Seite geschoben. Untendrunter hatte er »Abbey, die Mutige« geschrieben, aber ich wusste nicht, warum. Bis ich den schmalen Spalt zwischen dem Bund meiner Jeans und dem Saum des T-Shirts entdeckte. Zuerst dachte ich, ich bildete es mir nur ein.
Aber dem war nicht so.
Unmittelbar über meinen linken Hüftknochen hatte Caspian ein Tattoo gezeichnet. Ein Dreieck und ein Muster aus Kreisen, eine Kopie seines Tattoos. Ich lächelte und schüttelte den Kopf und spürte, wie mir ganz warm wurde. Wie sollte ich mich jemals für das hier bei ihm bedanken?
Als ich das Skizzenbuch sorgsam zuklappte, fiel ein Brief heraus. Ich hob ihn auf und fragte mich, wieso ich ihn nicht sofort entdeckt hatte. Neugierig las ich ihn Wort für Wort.
Liebe Abbey,
hoffentlich gefallen dir meine Weihnachtsgeschenke. Ich wollte dir etwas geben, das dich an mich erinnert. Ich weiß nicht, wohin ich von hier aus gehen werde. Ich glaube nicht, dass aus unserer Beziehung etwas werden kann. Was ich mir wünsche und was ich bekommen kann, sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Es tut mir leid. Aber es ist, wie es ist.
Frohe Weihnachten (hoffe ich)
und alles Liebe,
Caspian
Bei diesen Worten blieb mir das Herz stehen und wurde schwer wie Blei. Das warme Gefühl verschwand und mir wurde bis ins tiefste Innere eiskalt. Machte er Schluss mit mir? Hatten wir überhaupt eine Beziehung gehabt, die man beenden konnte? Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und dachte eine Minute lang ruhig nach, bis mir die Tränen kamen. Sie kamen mit Macht.
Ich schubste das Skizzenbuch von der Bettkante, legte mich auf mein Kopfkissen und nahm die Kette ab. Dann begrub ich mich unter einem Berg von Decken, schob die Kette unters Kissen und erstickte meine Schluchzer darin, als ich mich in den Schlaf weinte.
Das würde definitiv ein trauriges Weihnachtsfest für mich werden.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, waren meine Augen verklebt und verquollen und ein Blick in den Spiegel bestätigte, dass ich so schlimm aussah, wie ich mich fühlte. Auch meine Nase war verstopft, deshalb kroch ich zurück ins Bett, um noch ein paar Stunden zu schlafen.
Mom kam, um mich zu wecken, und fragte immer wieder, warum ich noch nicht unten war und meine Geschenke auspackte. Selbst der Gedanke daran reizte mich nicht. Es ging mir wirklich schlecht. Irgendwann kroch ich aus dem Bett und stolperte wie ein Zombie nach unten. Mom und Dad sahen ganz glücklich und aufgeregt aus, während ich die Päckchen aufmachte und es mir ziemlich egal war, was sie mir geschenkt hatten.
Der Stapel von Klamotten, Büchern, Schuhen, CDs und Parfumzubehör wurde immer höher und ich fühlte mich immer schlechter. Ich versuchte, ein fröhliches Gesicht zu machen, als ich ihnen ihre Geschenke überreichte, und sie schienen sich auch beide wirklich darüber zu freuen, besonders Dad. Aber selbst das dauerte nicht lange und es war Mom, die als Erste bemerkte, dass ich eine Show abzog.
»Bist du krank, Abbey?«, fragte sie, während sie jedes Stück Geschenkpapier, das sie in die Finger bekam, sorgfältig sortierte, glatt strich und faltete.
Ich schüttelte nur den Kopf, zu elend, um etwas zu sagen. Mit meinen roten Augen und der verstopften Nase sah ich jedenfalls krank aus. Und innerlich fühlte ich mich auch krank. Ich ging ans Fenster, lehnte mich an die Scheibe und schaute hinaus. Es waren doch noch weiße Weihnachten geworden. Mom wuselte weiter um mich herum. Einmal blieb sie stehen, legte mir die Hand auf die Stirn und murmelte etwas von Fieber.
Dad hatte angefangen, Frühstück zu machen, und schon bald standen ein Teller Pfannkuchen mit extra vielen Chocolate Chips vor mir und ein Teller mit Eiern und Schinken. Ich hatte weder Hunger noch war ich satt noch fühlte ich irgendetwas anderes. Innerlich war ich ganz leer.
Um Dads Gefühle nicht zu verletzen, stocherte ich in den Pfannkuchen herum und ignorierte alles andere. Nach ein paar Minuten gab ich meinen Teller an Mom weiter, bedankte mich bei beiden für die Geschenke und ging wieder nach oben. Das war ein Tag zum Im-Bett-Bleiben und dagegen würde ich nicht ankämpfen.
Ich lag eine Weile lang nur so da.
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