The Hollow
hellwach.
Meine Hochstimmung ließ etwas nach, als ich anfing, meine Haare trocken zu nibbeln. Ich versuchte verzweifelt, meine wilden Locken zu perfekten Korkenzieherlocken zu zähmen, aber das ließen sie nicht zu. Es war ein Kampf, den ich schnell verloren geben musste.
Missmutig teilte ich einzelne Strähnen ab und steckte sie zu einem losen Knoten oben auf dem Kopf zusammen. Wenn ich die eine halbe Stunde später ausschüttelte, könnten sie mit etwas Glück irgendwie wellig aussehen.
Wellige Haare sind im Kommen, versuchte ich mir vor dem Spiegel einzureden. Weil es weich und romantisch aussieht. Du bist ein Trendsetter. Aber ich wollte gar kein Trendsetter sein. Alles, was ich wollte, waren Haare, die sexy aussahen. Mit einem tiefen Seufzer machte ich mich ans Anziehen.
Natürlich entwickelte sich auch das zu einer echte Krise.
Die Cargohosen, die ich mir letzte Nacht überlegt hatte anzuziehen, sahen nicht besonders schmeichelhaft aus, als ich sie anhatte. Wenn mein Hintern tatsächlich so dick war, wie er in diesen Hosen aussah, dann musste ich etliche Kniebeugen oder Sit-ups oder sonst was machen – und zwar allerschnellstens.
Voller Panik wühlte ich auf der Suche nach einem anderen Kleidungsstück in meinem Schrank herum und bald war mein Bett übersät mit Klamotten, die ich ebenfalls nicht anziehen wollte. Endlich hatte ich mich für meine üblichen Darin-siehtmein-Hintern-echt-knackig-aus-Jeans entschieden und für eine lange schwarze Wickeljacke. Ich krönte das Ganze mit einem rot-schwarz karierten Filzhut. Nachdem ich mich genau dreiundzwanzig Mal im Spiegel begutachtet hatte, war ich ziemlich sicher, dass ich so gut angezogen war, wie es eben möglich war.
Jetzt noch Lidstrich, Lidschatten und ein paar Tupfer mit Abdeckcreme und dann war ich so gut wie fertig. Ich pinselte mir Rouge auf die Wangenknochen und entschied mich für einen Lippenstift in der Farbe Daredevil. Ich trug ihn sorgfältig auf und betrachtete mich noch einmal kritisch. »Wie findest du mich, Kristen?«, fragte ich leise den Spiegel. »Sehe ich okay aus?«
Aber der Spiegel antwortete nicht, also wandte ich mich ab, um endgültig fertig zu werden.
Ich musste mich nur noch um meine Frisur kümmern und hielt die Luft an, als ich den Knoten löste, die Haare schüttelte und ein paar Strähnen verwuschelte. Mehr als einmal in meinem Leben hatte ich mir glatte, sehr blonde Haare gewünscht anstelle der schwarzen Locken, mit denen ich gestraft war. Heute allerdings nicht. Heute sahen meine Haare seidig und sexy aus.
Ich rückte den Hut in die richtige Position und zupfte ein paar Strähnen zurecht, sodass sie mein Gesicht einrahmten. Heute schien ein Good-Hair-Day zu sein.
Ich nahm einen Zehn-Dollar-Schein aus meinem Portemonnaie, steckte ihn in die Hosentasche und sah auf mein Handy, um zum allerletzten Mal die Uhrzeit abzulesen. 9.54 Uhr. Perfektes Timing. In ungefähr zwanzig Minuten würde ich am Fluss sein. Genau zur richtigen Zeit, nicht »ich kann es kaum erwarten«.
Ich verließ mein Zimmer und ging die Treppe hinunter in die Küche. Am Kühlschrank hing ein Zettel von Mom, auf dem stand, dass sie und Dad den ganzen Tag über Besprechungen hatten und dass ich mir etwas zum Abendessen besorgen sollte. Perfekt. Keine Eltern, die mir mit Fragen auf die Nerven gingen – das machte meinen Tag nur noch besser.
Neben dem Zettel klemmte ein Zwanzig-Dollar-Schein unter einem Magneten. Als ich ihn wegnahm, spürte ich erst richtig, wie perfekt dieser Tag war. Ich aß einen Müsliriegel und trank ein Glas Orangensaft, dann vergewisserte ich mich, dass ich den Haustürschlüssel bei mir hatte, und schloss die Tür ab. Es war Zeit, an den Fluss zu gehen.
Ich versuchte, nicht zu schnell zu gehen, um gerade so vor halb elf anzukommen. Ich wusste nicht, ob Caspian gemeint hatte, wir sollten uns an der Brücke treffen, jedenfalls war die Brücke mein Ziel.
Ich ging nicht über den Friedhof, sondern blieb auf der Hauptstraße. Mein Herz schlug immer schneller und in meinem Bauch flogen lauter Schmetterlinge. Jetzt konnte ich die Brücke sehen. Ich suchte das Ufer ab, sah ihn aber nicht. Mein Herz wurde schwer. Er war nicht da …
Noch nicht, versuchte ich, mich selbst zu trösten. Er war noch nicht da. Er hatte gesagt, wir würden uns treffen, also gab es keinen Grund anzunehmen, dass er nicht kommen würde.
Vielleicht hatte er sich anders entschieden, nörgelte eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf. Oder vielleicht war
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